Für den Bruchteil einer Sekunde hielt er den Atem an, als er in die Senke hineinraste, sein Fuß blieb auf dem Gaspedal. Links, rechts und dann die Piste bergauf, die sich vor ihm wie eine Betonmauer aufbaute, als es plötzlich in der Leitung knackte. "Kimi, du musst in den letzten Runden noch einmal richtig pushen", ertönte es von der anderen Seite des Teamradios. "Dann gib mir mehr Power!", fand Räikkönen die Aufforderung seines Renningenieurs gar nicht lustig, musste er im vergangenen Jahr doch auf der Ardennenachterbahn ohne KERS auskommen. Nach 44 Runden überquerte er als Dritter die Ziellinie. Ein Erfolg, der nicht allein dem Finnen geschuldet war, sondern auch seinem Renningenieur Mark Slade.

Slade sowie seine Kollegen Guillaume Rocquelin, Peter Bonnington, Andy Latham und Andrea Stella - sie sind mehr als nur die Stimmen im Ohr ihrer Fahrer. "Der Renningenieur ist die Stimme, mit der man immer verbunden ist. Klar, auf der Strecke ist man alleine, aber das Team steht hinter dir. Dein Renningenieur und dein Dateningenieur sind die Personen, mit denen du am meisten zu tun hast, was das Fahrzeug angeht, aber auch mit Blick auf die Strategie", erklärte Räikkönen-Freund Sebastian Vettel im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com.

Mark Slade ist die Sprüche des Iceman gewohnt, Foto: Sutton
Mark Slade ist die Sprüche des Iceman gewohnt, Foto: Sutton

"Manchmal weißt du nicht, wie viele Informationen ein Fahrer will", sagt Phil Prew, der als Chefingenieur den gesamten Stab von Technikern und Mechanikern bei Räikkönens Ex-Team McLaren koordiniert. "Wir geben unseren Fahrern lieber mehr Informationen und wenn sie genug haben, müssen sie einfach sagen, dass wir den Mund halten sollen." So geschehen 2011 auf dem Nürburgring, als Hamilton in seinen Funk schrie: "Hört auf, mit mir zu reden. Ich fahre hier ein Rennen!"

Eine vergleichbare und nahezu schon legendäre Situation erlebte Lotus im vergangenen Jahr mit Räikkönen in Abu Dhabi. Der Ingenieur funkte: "Kimi, ich halte dich über die Abstände informiert." Der Finne konterte eiskalt: "Lasst mich einfach in Ruhe, ich weiß, was ich tue." In der Tat, am Ende gewann er das Rennen. Aber nicht, ohne im Funk noch einmal deutlich zu machen, was er von zu viel Informationen hält. So informierte ihn das Team während einer Safety-Car-Phase darüber, dass er alle vier Reifen gleichmäßig aufwärmen solle. Der Iceman war darüber not amused: "Ja, ja, ja. Das mache ich schon die gesamte Zeit. Ihr braucht mich nicht alle paar Sekunden daran zu erinnern."

Räikkönens Spruch "Leave me alone. I know what I'm doing" hat mittlerweile Kultstatus erreicht und zog sogar eine eigene T-Shirt-Kollektion nach sich, die Räikkönen seinem Team beim nächsten Rennen schenkte. Andere Funksprüche sorgen hingegen nur für Schmunzeln, wie in Australien 2012 als Räikkönen erbost an seinen Renningenieur funkte: "Wieso zeigen die mir dauernd blaue Flaggen?" Die Antwort: "Die Flaggen sind für die Piloten, die im Rennen hinter dir liegen und nicht für dich."

Ein Renningenieur behält aber nicht nur im Renngeschehen den Überblick. "Ich würde sagen, dass ich eine organisatorische Rolle habe, eher jedenfalls, als eine rein technische. Natürlich ist die technische Seite sehr ausgeprägt, aber ich habe viel mehr den Gesamtüberblick über die Entwicklungen am Rennwochenende und über das gesamte Jahr", verrät Slade. Der Brite gilt im Fahrerlager als Finnen-Spezialist - arbeitete er doch in seiner langjährigen Karriere bereits mit Mika Häkkinen, Heikki Kovalainen und eben Räikkönen zusammen.

Letzterer ließ ihn für sein Formel-1-Comeback extra von McLaren zu Lotus holen - ein Renningenieur ist eben nicht irgendein Teammitglied. Er gehört zum 'Circle of Trust', ist der engste Vertraute eines Fahrers. Der eine weiß, was der andere denkt. Wenn sich beide in die Augen sehen, wissen sie sofort, was der andere denkt. "Das ist nichts Besonderes, schließlich verbringe ich mit Sebastian mehr Zeit als mit meiner Frau. Ich erkenne schon am Klang seiner Stimme, ob es ein Problem gibt", erklärt Rocquelin den Grund für das blinde Verständnis zwischen Fahrer und Renningenieur.

Ein Renningenieur horcht eben nicht nur in das Auto, sondern auch in den Piloten hinein. "Ein guter Renningenieur ist immer auch ein guter Psychologe", bestätigt Motorsport-Magazin.com-Experte Christian Danner. Zwischen vielen entsteht über die Jahre eine Freundschaft. "Er ist für mich ein guter Freund, mit dem ich über die Familie spreche, wie ich mich beim letzten Fußballspiel angestellt oder was ich gestern Abend erlebt habe", sagte Andrea Stella über Michael Schumacher. Heute leitet Stella Räikkönens nächstjährigen Teamkollegen Fernando Alonso durch den Dschungel an Informationen und Emotionen. Gerne auch einmal auf Italienisch. Davon sollte die Roten bei Räikkönen wohl besser Abstand nehmen - außer sie wollen einen neuen T-Shirt-Spruch zu hören bekommen...