Jules, wie würdest du deine erste Formel-1-Saison bislang zusammenfassen?
Jules Bianchi: Ich hatte einen sehr positiven Saisonbeginn. Die ersten zwei, drei Rennen waren toll für mich und das Team. Danach hatte ich ein paar Schwierigkeiten, aber nichts Ernsthaftes. Bisher ist alles wie geplant verlaufen. Es war schwierig, aber ich habe das Beste daraus gemacht. Das war für mich sogar etwas überraschend, denn ich hatte nur anderthalb Testtage im Winter und konnte dabei nicht viel ausprobieren. Das war nicht die beste Vorbereitung für meine erste komplette Formel-1-Saison. Das Team hat aber großartige Arbeit geleistet und deshalb konnten wir uns im ersten Rennen so gut schlagen.

Du hast es bereits angesprochen. Du bist richtig gut in die Saison gestartet und hast einige sehr gute Ergebnisse einfahren können. Kannst du erklären, wie das mit so wenig Testtagen möglich war?
Jules Bianchi: Das Team hat mich sehr gut eingebunden, außerdem hatte ich eine sehr gute Vorbereitung als Mitglied der Ferrari Driver Academy - sowohl physisch als auch mental und am Steuer. Ich durfte seit 2010 Formel-1-Autos fahren, das hat mir sicherlich sehr geholfen.

Du hast in deiner bisherigen Formel-1-Karriere viel gelernt. Was war das Schwierigste daran?
Jules Bianchi: Die schwierigste Aufgabe war für mich das Reifen-Management. Das ist äußerst knifflig. Man muss stets 100% geben, aber gleichzeitig die Reifen schonen. Das ist nicht einfach und beeinflusst deinen Fahrstil im Rennen.

Du bist im Qualifying klar besser als dein Teamkollege Max Chilton. Achtest du auf so eine Statistik? Immerhin seid ihr beide Rookies...
Jules Bianchi: Absolut, es ist ein sehr gutes Ergebnis gegen Max. Er ist ein toller Fahrer und gibt ebenfalls alles. Ich kann nicht sagen, was ich anders mache als er, aber es ist recht eng zwischen uns. Natürlich bin ich froh, dass ich im internen Duell vorne liege, aber ich muss weiter Vollgas geben und darf mich nicht darauf ausruhen.

Esteban Gutierrez hat mir gesagt, dass die größte Herausforderung für ihn war, zu akzeptieren, dass ein zwölfter Platz möglicherweise das bestmögliche Ergebnis für ihn ist. Siehst du das genauso?
Jules Bianchi: Wir kämpfen gegen Caterham und ich kann mich nur mit ihnen und meinem Teamkollegen vergleichen. Mein Ziel ist immer, eine gute Leistung für mein Team zu bringen, vor meinem Teamkollegen zu sein, und wenn ich alles richtig gemacht habe, kann ich sagen: das war eine gute Leistung. Noch liegt aber viel Arbeit vor uns. Also bleibe ich lieber ruhig und gebe weiter alles.

Jules Bianchi berichtet Motorsport-Magazin.com von seiner Debütsaison, Foto: Sutton
Jules Bianchi berichtet Motorsport-Magazin.com von seiner Debütsaison, Foto: Sutton

Warst du vor deinem ersten Qualifying oder Rennen in Australien etwas nervös?
Jules Bianchi: Ja, ein bisschen schon. Das erste Qualifying und der erste Start sind ein besonderer Moment für jeden Rennfahrer. Zudem war das Qualifying in Melbourne durch den Regen alles andere als einfach. Es war also nicht gerade stressfrei, aber dennoch sehr schön.

Als Rennfahrer würdest du natürlich am liebsten jeden Tag testen oder Rennen fahren. In der Formel 1 ist dies leider nicht möglich. Auch in der GP2 wird wenig gefahren. Hat dir das vielleicht dabei geholfen, effizienter zu arbeiten?
Jules Bianchi: Es ist gut, dass wir in den Nachwuchsserien ähnliche Rennwochenend-Formate haben. Wenn man jeden Tag testet, kann man das Limit viel leichter erreichen. In der GP2 oder Renault World Series gibt es Testfahrten, aber nicht sehr viele. So ist man in einer besseren Form, um in der Formel 1 ans Limit zu gehen.

Liest du, was im Internet oder Magazinen über dich geschrieben wird? Oder ist dir das egal?
Jules Bianchi: Wenn ich im Internet bin und einen Artikel über mich entdecke, lese ich ihn, um zu sehen, ob das auch wahr ist. Aber ich suche nicht direkt danach. Ich muss nicht wissen, was die Leute über mich schreiben - egal ob positiv oder negativ. Ich konzentriere mich darauf, was ich im Auto machen muss und das war es.

Die Schlagzeilen setzen dich also nicht zusätzlich unter Druck?
Jules Bianchi: Ich habe schon Druck. Jeder in der Formel 1 steht unter Druck. Aber ich lasse mich von den Medien nicht zusätzlich unter Druck setzen.

Als Formel-1-Fahrer sitzt du nicht nur im Auto und fährst Rennen. Es geht auch darum, mit deinen Ingenieuren zusammenzuarbeiten, das Auto weiterzuentwickeln, Interviews zu geben - gefallen dir diese vielen Facetten an deinem Beruf?
Jules Bianchi: Jeder Fahrer möchte Rennen fahren. Manchmal ist es etwas schwierig, weil man so viele andere Dinge zu tun hat, die man eben nicht so sehr liebt wie das Rennfahren. Aber wie du sagst, das gehört zu unserem Job als Rennfahrer dazu. Man darf sich nicht darüber beschweren, sondern muss auch darin gut sein.

Diese Tätigkeiten lenken dich aber nicht ab, oder?
Jules Bianchi: Manchmal kann das schon passieren. Wenn man viel zu tun hat und nicht über die wichtigen Dinge nachdenken kann, kann man verloren gehen. Man muss die Medien- und PR-Arbeit machen, aber gleichzeitig auch voll auf seine Aufgaben konzentriert bleiben.

Bianchi macht sich keine Sorgen über seine Zukunft, Foto: Sutton
Bianchi macht sich keine Sorgen über seine Zukunft, Foto: Sutton

Wie wichtig ist es für dich persönlich, dir Ziele für die kommenden Rennwochenenden zu setzen?
Jules Bianchi: Das ist sehr wichtig. Aber für mich ist das nicht einfach, denn wir sind am Ende des Feldes und kämpfen mit Caterham. Unser einziges, realistisches Ziel ist stets, Caterham und meinen Teamkollegen zu schlagen. Wenn wir in einem verrückten Rennen die Chance auf einen WM-Punkt erhalten, werden wir das natürlich versuchen. Aber aktuell sind wir unter normalen Umständen nicht schnell genug dafür.

Denkst du manchmal über deine Zukunft in der Formel 1 nach oder lebst du nur in der Gegenwart?
Jules Bianchi: Ich möchte nicht allzu viel über die Zukunft nachdenken. Ich denke nur an diese Saison. Wenn ich abends im Bett liege, denke ich ausschließlich an das nächste Rennen.

Du machst dir also keine Sorgen darüber, dass deine Karriere schon nach einem Jahr vorbei sein könnte, wie es bei vielen anderen jungen Fahrern in der Formel 1 der Fall gewesen ist?
Jules Bianchi: Wenn man darüber nachdenkt, kann man schnell verloren gehen. Jetzt bin ich hier und ich glaube, dass ich gute Arbeit leiste. Wenn ich so weiter mache, werden wir sehen, was passiert. So oder so werde ich die Entscheidung nicht selbst treffen.

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