Schnelle Autos, schöne Frauen und ein Star ohne Allüren: Jo Siffert war einer der talentiertesten Rennfahrer seiner Ära. Anlässlich des 45. Jahrestages seines ersten Formel-1-Triumphes in Brands Hatch erinnert Motorsport Magazin.com an den schnellsten Charmeur, den die Schweiz je zu sehen bekam: Für Siffert war das ganze Leben ein Rennen - ein Rennen zwischen zwei Frauen, ein Rennen ums große Geld und gegen alle Widerstände, ein Rennen nach Ruhm und Unvergänglichkeit. Letztere erlangte das schweizer Idol der späten Sechzigerjahre paradoxerweise nicht nur durch seinen viel zu frühen Tod, sondern auch durch seine unnachahmliche Aura und seinen überdauernden Stil. Sifferts Aufstieg war unvergleichlich - auch, weil er von ganz unten kam. Am 7. Juli 1936 als eines von drei Kindern in ärmste Verhältnisse hineingeboren, musste der Fribourger schnell lernen, widrige Gegebenheiten zu seinem Vorteil zu nützen.

Sein von Geburt an zwei Zentimeter kürzeres rechtes Bein, bescherte ihm einen auffallend schwebenden Gang - an der Verwirklichung seines Kindheitstraumes konnte es ihn freilich ebenso wenig hindern, wie die Armut seiner in der Nachkriegsschweiz eine Molkerei betreibenden Eltern: Siffert wollte Rennfahrer werden. Sein spitzbübischer Charme, der wohl noch aus der Zeit stammte, als er durch die Vorgärten der Nachbarn streife, mal Obst, mal alte Patronenhülsen klaute und diese zu Geld machte - so wie später von ihm billig erworbene und nach ihrer mühevollen Restauration mit Ertrag weiterveräußerte Unfallautos - gepaart mit seiner einzigartigen Sprache, einer Mixtur aus Deutsch und Französisch, machte eine ganz besondere Kombination aus. Dieser konnte auch die Damenwelt kaum widerstehen. "Ich habe Jo Siffert niemals mit einer Frau gesehen, die nicht ausgesprochen hübsch war!", erinnerte sich nicht nur Biograph Richard von Frankenberg an den Lebemann.

Ein Rennen zwischen zwei Frauen

Die Damenwelt konnte dem schweizer Lebemann kaum widerstehen, Foto: Sutton
Die Damenwelt konnte dem schweizer Lebemann kaum widerstehen, Foto: Sutton

Nachdem Sifferts Liaison aus früheren Renntagen, Yvette, bald Geschichte war, lernte er im Herbst 1962 das Model Sabine kennen - kurze Zeit später wurde geheiratet. Doch dass der Rennfahrer immer auf Reisen war, half der Beziehung wenig - ebenso wie die ein oder andere Swissair-Stewardess, die es nicht unterlassen konnte, dem Frauenschwarm beim Verlassen des Flugzeuges ihre Telefonnummer zuzustecken. Selbst sein langjähriger Teamchef Rob Walker bezeichnete das Liebesleben seines Schützlings durchwegs als äußerst kompliziert - spätestens durch die Scheidung Sifferts von Sabine und die Heirat mit Simone Guhl wurde der Schotte bestätigt. Die Geburt der ersten gemeinsamen Tochter Véronique fiel jedoch noch in die Zeit, als Siffert mit seiner ersten Frau liiert war - für den Schweizer in einer konservativen Epoche ein Grund zur Geheimhaltung.

Dass er die Entbindung allerdings versäumte, hatte andere, terminliche Gründe: Siffert weilte beim Großen Preis von Frankreich in Clermont-Ferrand - trotz rasanter, nächtlicher Fahrt im Porsche nach Vichy, wo sich Simone aufhielt, kam er zu spät. Die Nachricht von der Geburt seines Sohnes Philippe zwei Jahre später überraschte ihn gar per Telegramm im Buenos-Aires-Grid. Kurz vor dem Rennstart reichte die Zeit jedoch nicht mehr zum Lesen, der Zettel wurde kurzerhand in die Overalltasche gesteckt - von den Vaterfreude erfuhr der passionierte Schnauzbartträger daher erst nach dem Überfahren der Zielflagge 1000 Kilometer später.

Ein Vorbild für Steve McQueen

Als Racing noch Racing war: Siffert 1965 in Monza, Foto: Sutton
Als Racing noch Racing war: Siffert 1965 in Monza, Foto: Sutton

Siffert war ein Getriebener - wenn er nachts nicht schlafen konnte, holte er seinen Renn-Porsche aus der Garage und weckte zu Testzwecken die halbe Stadt auf. Dass Fribourg seinen berühmtesten Sohn trotzdem liebte, lag an dem, was er verkörperte: Vom Lumpensammler hatte es der Schweizer zum Millionär gebracht. Dass er sich seinen Ruhm selbst erarbeitet hatte, machte ihn äußerst populär. Später stand Siffert als Typus Rennfahrer sogar Steve McQueen für dessen berühmten Rennfilm 'Le Mans' Pate. War das Geld zu Beginn noch so knapp, an Sonnenbrillen schien es dem lässigen Draufgänger nie zu mangeln. Nur das Rauchen gab Stilikone Siffert im Alter von 28 Jahren auf - dem ehrgeizigen Eidgenossen war aufgefallen, dass er mit mehr Puste schneller fahren konnte. Ohnehin war Ausdauer das Stichwort in seiner Karriere.

Vom Lohn seiner Lehre als Karosseriespengler begann er im Alter von 20 Jahren mit Motorrad- und Beiwagenrennen. Später kratzte er die letzten Groschen zusammen, um bei Paris auch auf vier Rädern einen Ausbildungskurs in einem Alfa Romeo zu absolvieren. 1960 folgte schließlich der Einstieg in den Automobilrennsport - in der Formel Junior wurde Siffert auf einem Lotus Europameister. Das sorgte für Aufmerksamkeit und der Genfer Industrielle Georges Fillipinetti ermöglichte ihm mit seiner Unterstützung Ende 1961 den Durchbruch. Bereits im Folgejahr kam es in der Qualifikation von Monaco gegen die übermächtigen Werksautos erst zum fehlgeschlagenen, dann im belgischen Spa zum geglückten F1-Debüt. Auf unterlegenem Material waren gute Ergebnisse jedoch schwierig, wenngleich es ob des hohen Einsatzes für diverse Achtungserfolge reichte.

Siffert hing immer am Gas: Das Ausnahmetalent in den Straßen Monacos, Foto: Sutton
Siffert hing immer am Gas: Das Ausnahmetalent in den Straßen Monacos, Foto: Sutton

1963 folgten in Frankreich die ersten Punkte, in Enna schlug Siffert ein Jahr später bei einem nicht zur Weltmeisterschaft zählenden Lauf sogar Klassenprimus Jim Clark - sein Talent war in der Szene längst bekannt. So nahm ihn Mitte 1964 Rob Walker unter Vertrag. Die Zusammenarbeit gipfelte zwar gleich beim ersten Rennen in Watkins Glen in einem sensationellen dritten Platz auf einem privat eingesetzten Brabham BT11, doch in den folgenden Jahren blieb auf Grund des unzuverlässigen Materials Zählbares oft Mangelware. Die Siegerkränze holte sich Siffert anderswo ab - in der Formel 2 und vor allem im Sportwagen hatte er mehr Erfolg. Das 24-Stunden-Rennen von Le Mans konnte er bei sieben Teilnahmen zwar nie gewinnen, im Langstrecken-Porsche und bei Bergrennen eilte er jedoch von Sieg zu Sieg. Aus Loyalität zum deutschen Autobauer schlug Siffert sogar mehrmals ein Ferrari-Angebot für die F1 aus, da die Scuderia ihn nicht parallel bei der Konkurrenz hätte starten lassen.

Doch die Geduld des ewigen Underdogs zahlte sich auch in der Königsklasse aus. 1968 konnte ihm Walker in der vierten gemeinsamen Saison mit dem Lotus 49 endlich ein siegfähiges Auto hinstellen - der Spitzenpilot setzte sein ambitioniertes Vorhaben endlich in die Tat um und sicherte sich am 20. Juli 1968 in Brands Hatch vor Chris Amon endlich den lang ersehnten und viel umjubelten ersten Grand-Prix-Sieg seiner Karriere. Nur drei Jahre später sollte die Strecke südöstlich von London allerdings zu seinem Schicksal werden. Zur Saison 1970 nahm er bei March erstmals ein Werks-Angebot an - im Nachhinein ein Flopp, musste Siffert mit null Punkten doch das schlechteste Jahr seiner Laufbahn verbuchen. Anschließend zog es ihn zu Yardley-BRM - an der Seite von Pedro Rodríguez sollte es wieder bergauf gehen, der Mexikaner verunfallte aber bereits nach fünf Rennen im Sportwagen tödlich.

Das letzte Blatt im Scheckheft

Zweiter & letzter Sieg in Österreich - immer an Sifferts Seite: Irgendeine Schönheit, Foto: Sutton
Zweiter & letzter Sieg in Österreich - immer an Sifferts Seite: Irgendeine Schönheit, Foto: Sutton

Nur einen Monat später holte Siffert als neuer Teamleader am Österreichring in Andacht an seinen verunglückten Stallgefährten den zweiten und letzten Sieg seiner Karriere. In der Weltmeisterschaft konnte er sich mit Rang vier seine bis dato beste Platzierung sichern. Zu Ehren von Weltmeister Jackie Stewart wurde am Saisonende schließlich das alljährliche 'Race of Champions' ausgetragen. Bereits am Start kam es dabei zwischen Siffert und dem March von Ronnie Peterson zu einer Berührung, deren genaue Auswirkungen auf das spätere Geschehen bis heute unklar sind - nach 96 Grand Prix und insgesamt 68 WM-Punkten sollte es in Brands Hatch das letzte Rennen des Jo Siffert werden.

In Runde 15 brach ein Verbindungsstück zu einem Querlenker des BRM - der Ausnahmefahrer fand sich am Ende der langen Geraden vor der Hawthorn-Kurve bei Geschwindigkeiten jenseits der 280 Stundenkilometer plötzlich ohne Lenkung wieder, ehe der weiße Bolide nach links ausscherte. An vierter Stelle liegend zerschellte Sifferts Auto an einem Erdwall, überschlug sich und ging sofort in Flammen auf. Mit schweren Beinverletzungen im Wrack eingeklemmt, war der 35-Jährige chancenlos, starb an Sauerstoffmangel und einer Rauchvergiftung. "Ich denke, dass jeder Rennfahrer eine Art Scheckheft besitzt. Bei jedem Unfall reißt einem das Schicksal ein Blatt aus - doch niemand weiß, wie viele Blätter noch übrig sind", hatte Siffert einmal seine Einstellung zur Gefahr des buchstäblichen Ritts auf der Kanonenkugel beschrieben.

An einem sonnigen Herbsttag ereilte ihn und die ganze Motorsportwelt die bittere Antwort: Aus dem südenglischen Flammeninferno gab es am 24.Oktober 1971 um 14.18 Uhr kein Entrinnen mehr. In einer der größten Trauerfeiern in der Geschichte der Schweiz erwiesen ihm fünf Tage später 50.000 Menschen in seiner Heimatstadt die letzte Ehre. Sie nahmen Abschied von einem Querdenker, der sich trotzdem immer treu blieb. Im Rennen fuhr er ohne Strategie immer voll auf Sieg - im Leben abseits der Piste blieb 'Seppi' jedoch immer bodenständig, war nie um ein verschmitztes Lächeln und ein Augenzwinkern verlegen. Dabei stand er für den Zeitgeist einer ganzen Generation - oder wie seine Schwester Adélaïde es einst ausdrückte: "Es ist besser, 35 Jahre gefährlich zu leben als sich 80 Jahre lang zu langweilen."