Du bist aus dem F1-Auto eine Menge Knöpfe und Elektronik gewöhnt. Wenn du privat mal einen Leihwagen fährst, passiert es dir da auch mal, dass du erst mal eine Weile brauchst, um zu verstehen, wie alles in diesem "fahrenden Computer" funktioniert?
Sebastian Vettel: Doch, schon. Da sind oft wirklich so viele Knöpfe, dass man erst einmal gar keine Ahnung hat. Ich finde das einerseits ein bisschen schade, auch wenn es natürlich sehr viele Dinge gibt, die man heute nicht mehr missen möchte, das Navigationssystem, die Möglichkeit sein Telefon zu verbinden und ähnliches. Aber das eigentliche Autofahren wird dadurch ein bisschen in die zweite Reihe gestellt. Und wenn man heute die Haube von einem modernen Auto aufmacht, sieht man von dem eigentlichen Kernstück, dem Motor, vor lauter Abdeckungen überhaupt nichts mehr. Wenn man zur Werkstatt fährt, dann kommt einer und steckt ein Kabel rein, um zu sehen, was das Problem ist. Früher hat man noch selbst hineingeschaut und konnte sehen, wo es klemmt. Aber so ist nun mal die Entwicklung.

Weißt du eher, wie dein Red Bull in der Formel 1 im Detail funktioniert, auch in der gesamten Elektronik?
Sebastian Vettel: Ganz ehrlich gesagt, auch nicht. Lustigerweise habe ich gerade heute Vormittag darüber nachgedacht, denn früher haben die Fahrer da auch noch selbst mit angepackt. Ich glaube, einerseits erlauben der Zeitplan und das Leben in der heutigen Formel 1 es gar nicht mehr, da selbst mit anzupacken und zweitens ist auch da alles viel zu komplex geworden. Man sieht es schon daran, wie viele Leute heute am Auto schrauben. Früher war das eine Handvoll und der Fahrer war ein fester Teil davon. Heute kann er das gar nicht mehr sein, weil es für jeden Bereich einen Spezialisten gibt.

Würde man sich als Rennfahrer manchmal wünschen, dass die Technik wieder mehr Richtung Seifenkiste als Richtung Spaceshuttle ginge?
Sebastian Vettel: Ja und nein, denn über die Zeit war es auch die Technik, die es uns erlaubt hat, so schnell zu sein, diese Kurvengeschwindigkeiten zu erleben, die es früher nicht gab. Nächstes Jahr werden die Autos sowieso ein bisschen langsamer werden, mit weniger Abtrieb, mit "weniger Leistung". Freiwillig gibt keiner nach und geht zurück. Deswegen ist die Entwicklung eine ganz normale, wie in jedem anderen Sport auch. Beim Skifahren sind die Kurvengeschwindigkeiten auch so hoch wie nie zuvor. Es ist natürlich dann die Frage, ob das die gesündeste Entwicklung für die Sportler selbst ist, auch für uns im Auto. Aber man gewöhnt sich natürlich an den Kick und steigt genau deswegen wieder ein.

Diesen ganz besonderen Kick hast du einmal mit dem Fliegen verglichen, manche beschreiben diesen "Flow", in den sie manchmal kommen, auch fast als Rausch. Gibt es solche Situationen für dich eher in einer einzelnen perfekten Qualifying-Runde oder kann das auch im Rennen, in einem direkten harten Kampf, passieren?
Sebastian Vettel: Beides, aber es ist ein bisschen unterschiedlich. Eine Qualifyingrunde ist sehr kurz, am absoluten Limit. Im Rennen kann man dafür in einen gewissen Rhythmus kommen, um sich Runde um Runde nicht direkt zu steigern, aber sich anzupassen, um wirklich in jeder Situation das Beste herauszuholen, sich zu überlegen, welche Linie wähle ich, was macht Sinn, dabei auch auf die Reifen Acht zu geben wie es heute nun mal ist. Dabei kommt man natürlich auch in einen gewissen Fluss hinein.

Kannst du dich an bestimmte Rennen erinnern, wo diese Erfahrung extrem war?
Sebastian Vettel: Besonders beim letzten Rennen - der Nürburgring war schon extrem, weil wir absolut keinen Raum für Fehler hatten. Wir haben das ganze Rennen über, bis auf die Safety-Car-Phase, wirklich versucht, alles zu geben, um die Führung zu behaupten. Aber es gibt auch noch ein paar andere Rennen, die da herausstechen. Das heißt nicht, dass die anderen Rennen schlecht waren, aber man hat natürlich schon auch mal ein bisschen bessere oder ein bisschen schlechtere Tage. Mein erster Sieg in Monza 2008 war etwas ganz Besonderes. Einfach von vorne weg habe ich versucht, mein Rennen zu fahren. Und auch wenn man jetzt zurückschaut, dann ist das immer noch etwas sehr Besonderes.

Wie lange braucht man, um aus dieser Extrem-Welt nach einem Rennen wieder in die normale Welt zurück zu kommen?
Sebastian Vettel: Man bekommt schon mit, was um einen herum passiert und kommt deshalb schon relativ schnell wieder zurück. Aber es ist einfach ein schönes Gefühl, wenn man alles gegeben hat und zumindest aus seiner Sicht an dem Tag alles richtig gemacht hat.

Der erste Vettel-Sieg 2008, Foto: Sutton
Der erste Vettel-Sieg 2008, Foto: Sutton

Wenn man sich in einer Welt bewegt, in der es um Tausendstel Sekunden geht, hat man dann außerhalb davon ein ganz anderes Gefühl für Zeit?
Sebastian Vettel: Außerhalb eines F1-Wochenendes, außerhalb der Rennstrecke, habe ich wohl ein Zeitgefühl wie jeder andere Mensch auch.

Hast du manchmal das Gefühl, dass die Zeit langsamer vergeht?
Sebastian Vettel: Nein. Ich glaube, es kommt immer auf die Situation an. Wenn man das Gefühl hat, dass man zu wenig Zeit hat, dann hat man wohl einfach zu viel Stress und muss daran etwas ändern. Es ist immer gut, für sich selbst zu wissen, wann man den Punkt erreicht hat, dass man mehr Zeit für sich selbst braucht, um dann wieder den Kopf frei zu haben für die wesentlichen Dinge.

Wie wichtig ist dir Ruhe?
Sebastian Vettel: Sehr wichtig. Ich denke, man muss immer die richtige Balance finden, nicht nur in der Formel 1, sondern auch im Leben allgemein. Wenn man viel Trubel hat, ist es wichtig, dann auch wieder seine Zeiten zu haben, wo es etwas ruhiger ist.

In deiner Wahlheimat, der Schweiz, geht es auch auf den Straßen ziemlich ruhig zu. Macht dir dort, bei dem strengen Tempolimit, das Autofahren überhaupt Spaß?
Sebastian Vettel: Die meisten Leute haben da wahrscheinlich ein etwas falsches Bild. Sie denken, wenn man F1-Fahrer ist, dann muss man auch auf den Straßen fahren wie ein Gestörter. Aber das ist gerade das Gute an meinem Job, dass ich mich da in dem besten Auto, das es überhaupt gibt, austoben kann. Da kommt selbst ein guter Sportwagen für die Straße nicht annähernd ran. Ich würde nicht sagen, dass ich jedes Tempolimit absolut einhalte. Ich glaube, dass das jeder, der ehrlich zu sich selbst ist, kaum von sich behaupten kann. Aber ich würde mich schon eher als passiven Autofahrer einschätzen. Ich glaube, mit dem Alter bin ich da auch ein bisschen weiser geworden: Die zwei, drei Minuten, die das im Endeffekt ausmacht, spielen normalerweise keine Rolle.

Die Formel 1 macht Station in 19 Ländern. Wie weit kannst du diese Länder dabei auch kennenlernen, gibt es da Freiräume?
Sebastian Vettel: Ich bin nicht eingesperrt und so lange ich pünktlich an der Rennstrecke bin, gibt es da auch keinen Ärger. Es ist schön, dass man herumkommt, viele verschiedene Länder sieht. Man versucht, jedes Jahr ein bisschen was anderes mitzunehmen. Natürlich hat man dann allmählich auch in jeder Stadt, in jeder Gegend, so seine Plätze, die einem am besten gefallen. In den Städten gibt es dann bestimmte Restaurants, die man immer wieder besucht oder bestimmte Dinge, die man immer wieder unternimmt. In Kanada laufen wir zum Beispiel immer den kleinen Hügel, den Mont Real, hoch und schauen dann auf die Stadt. Anderseits ist es, wenn man so viel unterwegs ist, dann aber auch schön, wieder nach Hause zu kommen und seine Ruhe zu haben.

Was ist für dich typisch deutsch?
Sebastian Vettel: Typisch deutsch ist gutes Brot. Da bin ich auch ein absoluter Fan davon. Tatort schauen. Typisch deutsch ist auch, freitags sein Auto zu waschen, um es dann am Wochenende in der Garage stehen zu haben. Das ist bei mir weniger der Fall.