Mark Slade, Guillaume Rocquelin, Andy Latham und Andrea Stella sind nicht nur die Stimmen im Ohr der Fahrer, sie haben entscheidenden Einfluss auf den Erfolg von Räikkönen, Vettel, Hamilton und Alonso.

'Kimi, du musst in den letzten Runden noch einmal richtig pushenI - 'Dann gib mir mehr Power!', Foto: Sutton
'Kimi, du musst in den letzten Runden noch einmal richtig pushenI - 'Dann gib mir mehr Power!', Foto: Sutton

Für den Bruchteil einer Sekunde hielt er den Atem an, als er in die Senke hineinraste, sein Fuß blieb auf dem Gaspedal. Links, rechts und dann die Piste bergauf, die sich vor ihm wie eine Betonmauer aufbaute, als es plötzlich in der Leitung knackte. "Kimi, du musst in den letzten Runden noch einmal richtig pushen", ertönte es von der anderen Seite des Teamradios. "Dann gib mir mehr Power!", fand Räikkönen die Aufforderung seines Renningenieurs gar nicht lustig, musste er doch auf der Ardennenachterbahn ohne KERS auskommen. Nach 44 Runden überquerte er als Dritter die Ziellinie. Ein Erfolg, der nicht allein dem Finnen geschuldet ist, sondern auch seinem Renningenieur Mark Slade. Slade sowie seine Kollegen Guillaume Rocquelin, Peter Bonnington, Andy Latham und Andrea Stella - sie sind mehr als nur die Stimmen im Ohr ihrer Fahrer. Gerade in einer so unberechenbaren Saison wie dieser, in der beinahe jedes Grand-Prix-Wochenende ein anderer Fahrer gewinnt, kommt dem Renningenieur eine Schlüsselrolle zu.

"Der Renningenieur ist die Stimme, mit der man immer verbunden ist. Klar, auf der Strecke ist man alleine, aber das Team steht hinter dir. Dein Renningenieur und dein Dateningenieur sind die Personen, mit denen du am meisten zu tun hast, was das Fahrzeug angeht, aber auch mit Blick auf die Strategie", erklärt Sebastian Vettel gegenüber dem Motorsport-Magazin. Der Renningenieur ist der Projektmanager, der das Programm für die einzelnen Sessions zusammenstellt, die taktischen Möglichkeiten auslotet und die Marschroute für das Rennwochenende vorgibt. "Der Renningenieur hat einen großen Anteil an den Rennwochenenden, speziell an der Setuparbeit", erklärt Timo Glock dem Motorsport-Magazin. An einem Rennwochenende stellen die verschiedenen Setup-Möglichkeiten eine Art Puzzle dar, das es so schnell und perfekt wie möglich zusammenzusetzen gilt.

Psychologe, Motivations- und Fußballtrainer

Für manche Fahrer fungiert der Renningenieur auch als Motivationstrainer. In Valencia musste Andy Latham Lewis Hamilton jede einzelne Sektorzeit durchgeben. Der McLaren-Pilot nutzte die Informationen, um sich selbst zu pushen und noch mehr aus dem Wagen herauszuholen. "Manchmal weißt du nicht, wie viele Informationen ein Fahrer will", sagt Phil Prew, der als Chefingenieur den gesamten Stab von Technikern und Mechanikern bei McLaren koordiniert. "Wir geben unseren Fahrern lieber mehr Informationen und wenn sie genug haben, müssen sie einfach sagen, dass wir den Mund halten sollen." So geschehen 2011 auf dem Nürburgring, als Hamilton in seinen Funk schrie: "Hört auf, mit mir zu reden. Ich fahre hier ein Rennen!" Guillaume Rocquelin vergleicht seinen Job mit dem eines Fußball-Trainers. "Neben dem Erarbeiten des Setups muss ich dafür sorgen, dass die Mechaniker mit Sebastian und mir reibungslos zusammenarbeiten", erklärt Vettels Renningenieur.

Wie ein Fußballtrainer muss er ein Gespür für die Gesamtsituation haben und in einer sich anbahnenden Katastrophe Ruhe bewahren wie zuletzt in Monza, als die Lichtmaschine an Vettels Boliden streikte. "Wenn so etwas passiert, dann geht man automatisch in den 'Rettungs-Modus'. Man denkt nicht: 'Oh nein, wir werden das Rennen verlieren'. Eher: 'Okay, wie lösen wir jetzt dieses Problem?' Wenn man in eine Krise schlittert, dann setzt man alles daran, da wieder rauszukommen", gibt Rocquelin, der von Vettel 'crazy frog' genannt wird, einen Einblick in seinen Arbeitsalltag. Aufgeben kommt für ihn erst in Frage, wenn das Auto steht und keine Daten mehr auf den Bildschirmen aufscheinen. "Dann weiß man, dass es vorbei ist", sagt Rocquelin. In solchen Momenten zieht sich der Franzose in sein Büro zurück, um sich zu sammeln und die nächsten Schritte zu überlegen. "Ich lasse mich von Rückschlägen nicht verrückt machen. So ist der Motorsport", erklärt Rocquelin cool.

Ein Renningenieur behält aber nicht nur im Renngeschehen den Überblick. "Ich würde sagen, dass ich eine organisatorische Rolle habe, eher jedenfalls, als eine rein technische. Natürlich ist die technische Seite sehr ausgeprägt, aber ich habe viel mehr den Gesamtüberblick über die Entwicklungen am Rennwochenende und über das gesamte Jahr", verrät Slade, Renningenieur von Räikkönen. Der Brite gilt im Fahrerlager als Finnen-Spezialist - arbeitete er doch in seiner langjährigen Karriere bereits mit Mika Häkkinen, Heikki Kovalainen und eben Räikkönen zusammen. Letzterer ließ ihn für sein Formel-1-Comeback extra von McLaren zu Lotus holen - ein Renningenieur ist eben nicht irgendein Teammitglied. Er gehört zum 'Circle of Trust', ist der engste Vertraute eines Fahrers. Der eine weiß, was der andere denkt. "Wenn sich beide in die Augen sehen und verstehen", beschreibt Glock die perfekte Beziehung zwischen Renningenieur und Fahrer.

Es muss nicht mehr diskutiert werden, es wird einfach gehandelt. "Das ist nichts Besonderes, schließlich verbringe ich mit Sebastian mehr Zeit als mit meiner Frau. Ich erkenne schon am Klang seiner Stimme, ob es ein Problem gibt", erklärt Rocquelin den Grund für das blinde Verständnis zwischen Fahrer und Renningenieur. Ein Renningenieur horcht eben nicht nur in das Auto, sondern auch in den Piloten hinein. "Ein guter Renningenieur ist immer auch ein guter Psychologe", bestätigt Christian Danner gegenüber dem Motorsport-Magazin. Zwischen vielen entsteht über die Jahre eine Freundschaft. "Er ist für mich ein guter Freund, mit dem ich über die Familie spreche, wie ich mich beim letzten Fußballspiel angestellt oder was ich gestern Abend erlebt habe", erzählte Andrea Stella 2006 über Michael Schumacher. Heute leitet Stella Fernando Alonso durch den Dschungel an Informationen und Emotionen.

Eine geheime Welt

Dabei spricht ein Renningenieur über Funk nur das Nötigste, denn die Konkurrenz hört mit. Seit den 30er Jahren kommunizieren die Fahrer mit ihren Renningenieuren, während sie über die Strecke brettern. Damals noch über die Boxentafeln, seit den 80er Jahren über den Funk. In früheren Jahren bespitzelten die Teams einander und schrieben etwaige Strategiegeheimnisse mit. Heute, wo die Funksprüche im Fernsehen ausgestrahlt werden, verpacken die Teams die Gespräche geschickt. Alonso und Stella kommunizieren schon seit längerem nur noch auf Italienisch. McLaren setzt - typisch britisch - auf Codewörter und verschlüsselte Zahlen-Buchstaben-Kombinationen à la James Bond. "Es ist schade für die Fans, dass wir auf Codes zurückgreifen müssen, aber das macht den Sport auch aufregender", meint Jenson Button.

'Wieso zeigen die mir dauernd blaue Flaggen?' - 'Die Flaggen sind für die Piloten, die im Rennen hinter dir liegen und nicht für dich.'', Foto: Sutton
'Wieso zeigen die mir dauernd blaue Flaggen?' - 'Die Flaggen sind für die Piloten, die im Rennen hinter dir liegen und nicht für dich.'', Foto: Sutton

So mancher Boxenfunk ging bereits in die Annalen der F1-Geschichte ein. "Let Michael pass for the Championship" - der Funkspruch an Rubens Barrichello sorgte 2001 in Spielberg für einen Eklat im Rennsport. Heute geht Ferrari viel subtiler vor, wenn es darum geht, einen Fahrer am anderen vorbei zu schleusen. So funkte Rob Smedley 2010 in Hockenheim an Felipe Massa: "Fernando ist schneller als du." Nicht der einzige Funkspruch zwischen den beiden, der für Aufsehen sorgte. In Singapur teilte Smedley seinem Fahrer mit, den Gegner in Person von Lewis Hamilton auf keinen Fall vorbeizulassen. "Halte ihn auf, so gut es geht. Zerstöre sein Rennen! Komm schon, Junge."

Andere Funksprüche sorgen hingegen für Schmunzeln wie in Australien 2012, als Kimi Räikkönen erbost an seinen Renningenieur funkte: "Wieso zeigen die mir dauernd blaue Flaggen?" Die Antwort: "Die Flaggen sind für die Piloten, die im Rennen hinter dir liegen und nicht für dich." David Coulthard funkte in Montreal 2007 auf die Frage seines Renningenieurs wie das Auto sich anfühle nicht ganz ernst gemeint: "Das Auto rutscht, ist in den Kurven instabil und ich habe null Traktion - abgesehen davon habe ich eine Menge Spaß." Andere nutzen den Funk, um mittels eines Songs Renningenieur und Team zu danken wie Button 2009 in Interlagos, als er über das Teamradio "We are the Champions" sang. Und genau für diese Momente leben Renningenieure, den Lohn für ihre harte Arbeit erhalten sie nicht mit ihrer Gehaltsabrechnung, sondern nur mit Siegen auf der Strecke.

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