Neue Strukturen, neue Verantwortliche und neue Erfolge: Williams meldete sich zurück an der Spitze der Formel 1. Im Hintergrund hilft der Österreicher Toto Wolff, die Fäden im Traditionsrennstall von Sir Frank Williams zu ziehen. Dem Motorsport-Magazin verrät er einen Teil des Erfolgsrezepts.

MSM: Williams hat sich endlich wieder in die Siegerliste eingetragen. Werden Sie Ihren ersten Triumph mit dem Team jemals vergessen?
Toto Wolff: Natürlich nicht. Der erste Sieg mit der eigenen Mannschaft ist und bleibt immer außergewöhnlich. Der Sieg kam extrem unerwartet, gerade deswegen ist es auch so speziell. Der Sieg hat dem Team einen unglaublichen Antrieb gegeben. Das Auto ist gut und ich denke, das ist der Beginn einer nachhaltigen Steigerung.

Nach der Freude kam der Schreck. Wie schwierig war es, sich nach dem Boxenfeuer auf Monaco vorzubereiten und wie groß war die Unterstützung der anderen Teams?
Toto Wolff: Bereits vor Ort haben uns die Teams extrem geholfen. Sie waren sofort zur Stelle und haben uns geholfen, das Feuer zu löschen. Zum Glück haben wir durch das Feuer nur Hardware verloren, mehr nicht. Die anderen Teams haben uns mit Kleinigkeiten unterstützt. Alles andere hat normal funktioniert.

Das Feuer in der Williams-Box ließ die Freude über den Sieg schnell verrauchen, Foto: Sutton
Das Feuer in der Williams-Box ließ die Freude über den Sieg schnell verrauchen, Foto: Sutton

Würden Sie sagen, dass dem Team ein riesen Schritt zu 2011 gelungen ist oder liegt es daran, dass die Top-Teams durch das Verbot des angeblasenen Diffusors viel von ihrer Dominanz eingebüßt haben?
Toto Wolff: 2011 war für Williams die schlechteste Saison aller Zeiten. Das wollen wir auch nicht verheimlichen. Bereits Anfang 2011 haben wir die gesamte technische Führungsmannschaft ausgetauscht - wir haben einen neuen Aerodynamiker, einen neuen Technischen Direktor, einen neuen Race Operation Direktor. Ende der Saison ist Claire Williams in den Vorstand aufgerückt, Adam Parr hat das Unternehmen verlassen und auch im Unterbau sind Veränderungen vorgenommen worden, die nicht so medienwirksam waren. Patrick Head ist aus dem Team ausgeschieden, ich bin viel mehr involviert, wobei ich sicherlich nicht das Auto schneller mache. Aber die Änderungen waren ein wichtiger Bestandteil des Erfolgs. Aber es stimmt auch, dass uns das Verbot des angeblasenen Diffusors geholfen hat. Cosworth hatte das System nicht angeboten, somit hatten wir diesen Vorteil nie. Der Vorteil betrug laut Simulation in Abu Dhabi 2,2 Sekunden und unser Rückstand betrug 3 Sekunden. Uns hat das System sicherlich extrem wehgetan. Dieses Jahr haben wir ein konventionell, mechanisch gutes Auto und man sieht, dass es funktioniert.

Mike Coughlan ist der neue Technikdirektor bei Williams. Nach seiner Beteiligung in der Spionage-Affäre 2007 fragten sich viele, warum sich Williams ausgerechnet für ihn entschieden hat?
Toto Wolff: Er ist der beste Mann für diesen Job. Ich war 2007 noch nicht an Bord und das, was man in den Zeitungen über sogenannte Affären liest, ist immer nur die Spitze des Eisbergs. Darunter liegt allerdings der viel größere Teil. Mike ist ein integrer, extrem intelligenter und technisch versierter Mann, der in eine unglückliche Situation hineingetappt ist. Mehr will ich dazu gar nicht sagen. Ich glaube, wir müssen uns abgewöhnen, Menschen vorzuverurteilen, ohne die Hintergründe genau zu kennen und ständig auf die Vergangenheit zu schielen. Das ist der Grund, warum wir im Gegensatz zu Amerika ein Land voller Neider und Arschlöcher sind. Mike ist ein toller Mensch, eine Bereicherung für das Team und ich hoffe, er bleibt lange ein Teil von Williams.

Zurück zur aktuellen Saison - die Fans freuen sich über die unvorhersehbaren Rennen, die Top-Teams sind weniger begeistert. Vor allem die Reifen sind ein heißes Thema. Wie sehen Sie die Situation?
Toto Wolff: Ich sehe die Situation überhaupt nicht kritisch. Sie ist toll für den Sport. Red Bull, McLaren und Ferrari sind immer noch die Benchmark. Daran hat sich nichts geändert, nur hat sich das Pendel ein klein wenig Richtung anderer Teams verlagert, die vielleicht das Reifenthema schneller oder vermeintlich besser verstanden haben. Ich kann über all das Gerede nur lachen. Hat sich in den letzten Jahren irgendjemand über angeblasene Diffusoren oder sonstige Themen aufgeregt? Die Formel 1 ist ein zyklisches Geschäft - einmal geht es rauf, einmal geht es runter. Einmal sind die Techniker gut, einmal sind die anderen Techniker gut. Ich schaue auf Williams und dass ich die besten Leute anheuern und halten kann. Was die anderen Teams machen, interessiert mich nicht. Die Teams sollten nicht über die Reifen lamentieren, sondern lieber darüber nachdenken, wie sie die Reifen besser in den Griff bekommen. Wir hoffen, dass wir so gut weitermachen wie bisher.

Ferrari, Red Bull und McLaren haben ihre eigene Philosophie, wie versucht Williams seine Leute zu halten?
Toto Wolff: Ich kenne die Philosophie der anderen Teams nicht, aber vermutlich zahlen sie ihnen viel Geld. Wir operieren anders. Wir sind finanziell gut ausgestattet, haben keine Schulden. Wir sind ein echtes Rennteam, Rennfahren ist unser Hauptgeschäft. Das Team hat seine Basis in England, was sicher auch ein Vorteil ist. Bei uns herrscht eine Aufbruchsstimmung und wir befinden uns auf dem Weg nach oben. Die Leute haben gesehen, dass wir uns verbessert haben. Somit hat der eine oder andere, der in anderen Strukturen nicht glücklich war, in Erwägung gezogen, bei uns anzuheuern. Die Challenge für ambitionierte Leute ist bei uns sicherlich größer als bei einem vermeintlichen Top-Team.

Pastor Maldonado und Bruno Senna bildeten 2012 das Fahrerduo bei Williams, Foto: Sutton
Pastor Maldonado und Bruno Senna bildeten 2012 das Fahrerduo bei Williams, Foto: Sutton

Bei den Fahrern setzt Williams mit Pastor Maldonado und Bruno Senna auf zwei junge und eher unerfahrene Piloten. Hat der Sieg gezeigt, dass Sie auf den richtigen Weg gesetzt haben?
Toto Wolff: Maldonado hat vor seinem Wechsel in die Formel 1 in der GP2 extrem viel Erfahrung gesammelt. In seinem ersten Jahr hatte er das Glück, mit Rubens Barrichello einen extrem erfahrenen Teamkollegen an der Seite zu haben. Diese Leistung ruft er jetzt ab - in Barcelona zeigt er eine astreine Leistung. Jetzt gilt es die Ups and Downs ein wenig zu glätten, die ganz normal sind für einen jungen Fahrer. Wenn wir diese geglättet haben, dann wird er einer der ganz Guten werden. Auch Bruno ist ein guter Fahrer, der etwas im Kopf hat. Er hat relativ spät begonnen und in der Vergangenheit wenige Chancen erhalten. Wir haben uns vorgenommen, ihn so gut wie möglich zu unterstützen und das tun wir auch. Wir werden sehen, was die Ergebnisse davon sind.

Frank Williams bezeichnet Sie bereits als Ersatzteamchef. Würde Sie diese Rolle reizen?
Toto Wolff: Die Rolle würde mich schon reizen, aber von meinem Naturell her entspricht es nicht dem, was ich in der Zukunft tun möchte. Ich bin ein aktiver Gesellschafter und bin in der Zeit eingesprungen, als Adam Parr das Team verließ. Diese Rolle nehme ich gemeinsam mit Frank wahr und was die Zukunft bringt, weiß ich noch nicht. Diese Rolle ist etwas ganz Neues, aber im Moment sehe ich mich nicht als Teamchef.

Wie hat sich Ihre Rolle in den letzten zwei Jahren verändert?
Toto Wolff: Ich habe mich von Beginn an eingebracht - das war auch eine Voraussetzung, warum ich das machen wollte. Da ich mich so lange schon im Motorsport bewege, hatte ich keinerlei Probleme, mich in das Team einzufinden. Ich habe schon alles gemacht, was man machen kann. Ich habe ein Rallye-Team, bin mit HWA in der DTM und somit war der Schritt in die Formel 1 kein komplexer. Was die Struktur angeht - ikonenhafte Teamgründer haben das Recht ihr Team so zu führen, wie sie es für richtig halten. Aber nun hat eben ein Generationswechsel quer durch alle Management-Ebenen stattgefunden. Ich arbeite mit allen sehr gut zusammen. Zu Beginn hatte ich täglichen Kontakt mit dem Team und seit dem Weggang von Adam Parr bin ich jede Woche auch physisch dort.

Welche Auswirkungen hat der Teilrückzug von Frank Williams auf das operative Geschäft?
Toto Wolff: Frank Williams ist nicht nur der Namensgeber, sondern auch einer der Gründe, warum das Team in der Vergangenheit so erfolgreich war. Er ist immer noch ein wesentlicher Bestandteil des Teams. Er ist inspirierend, ideengebend und unser Sprachrohr. Sein Rückzug ist ein logischer Schritt. Er gibt jüngeren Leuten mehr Freiraum und das funktioniert reibungslos.

Monisha Kaltenborn hat uns verraten, dass sie es hasse, die mächtigste Frau in der F1 genannt zu werden. Machtspiele überlässt sie lieber anderen. Wie halten Sie es damit?
Toto Wolff: Mich interessieren diese Dinge nicht. Ich möchte, dass Williams erfolgreich ist und ich werde alles tun, damit das Team erfolgreich wird bzw. nachhaltig erfolgreich bleibt. Es geht mir nicht um Macht, sondern nur darum, die Basis für den Erfolg zu finden.

Toto Wolff fiebert während der Rennen mit, Foto: Sutton
Toto Wolff fiebert während der Rennen mit, Foto: Sutton

Österreich scheint auch ohne Grand Prix eine immer größer werdende Rolle in der F1 zu spielen. Eine Entwicklung, die Ihnen gefällt?
Toto Wolff: Man kann nicht alle in einen Topf werfen. Mateschitz spielt eine außerordentliche Rolle. Er ist mit seinem Team zwei Mal Weltmeister geworden - das muss man ihm mit einem neuen Team erst einmal nachmachen. Wir - Monisha (Kaltenborn), Franz (Tost) und ich - sind davon noch Lichtjahre entfernt. Wir können uns alle zum Himmel strecken und versuchen, das zu erreichen. Als patriotischer Österreicher macht es mir natürlich Spaß, dass so ein kleines Land so gut in der F1 vertreten ist.

Die F1 hat ihren Börsengang verschoben. Williams hat diesen Schritt bereits gewagt. Empfinden Sie den Börsengang der F1 generell als richtigen Schritt?
Toto Wolff: Klar. Die Formel 1 ist ein tolles Geschäftsmodell und der Börsengang bietet einem größeren Publikum die Möglichkeit, das Geschäftsmodell zu teilen. Das gilt für kleine Aktionäre als auch für große Institutionen. Ich glaube an die F1 und das Geschäftsmodell. Es ist immerhin die größte Sportplattform der Welt und wächst jedes Jahr um 10 Prozent und mehr. Die F1 ist ein nachhaltiges Geschäft. Die Manager wissen schon drei bis fünf Jahre vorher, welche Einnahmen sie generieren. Sie können sich geografisch in den Märkten bewegen, sie sind viel flexibler als herkömmliche Unternehmen. Deshalb ist der Börsengang absolut sinnvoll. Man muss nur die Transparenz hinkriegen. Williams hat es hingekriegt, somit wird es auch die F1 hinkriegen.

Sie galten früher selbst als talentierter Rennfahrer. Wie kam es dazu, dass Sie Finanzinvestor wurden?
Toto Wolff: Ich war sicher nicht in dem Maße talentiert, wie ich ambitioniert war. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, sich selbst einzuschätzen. Mir ist schon früh klar geworden, dass ich in der Formel 1 nicht erfolgreich gewesen wäre. Ich habe dann einen herkömmlichen Weg eingeschlagen, habe als Angestellter für Unternehmen gearbeitet, habe mich dann selbstständig gemacht und so ist eins ins andere übergegangen. Zwischen dem ambitionierten und nicht talentierten Rennfahrer und dem Finanzinvestor, der an einem F1-Team beteiligt ist, liegen dann doch 20 Jahre.

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