Das DTM-Saisonfinale 2021 hat das alte Schreckgespenst namens Stallregie wieder zu Tage gebracht - und Gerhard Berger mit einigen Tagen Abstand auf die Palme. Der DTM-Boss verurteilte in einem brisanten, in der Nacht auf Donnerstag veröffentlichten Bild-Interview die Vorgänge rund um Mercedes-AMG. Das Thema sei laut Berger "nicht vom Tisch und ich werde mich persönlich für eine künftige Lösung einsetzen".

Im Gegensatz zur vergangenen Saison war eine Teamorder in der DTM 2021 per Reglement nicht verboten. Auch das 2017 eingeführte Funkverbot galt dieses Jahr nicht. So haben sich Mercedes-AMG und die betroffenen Fahrer, namentlich 'Platzmacher' Lucas Auer und Meister Maximilian Götz, zu jedem Zeitpunkt faktisch an die geltenden und von der DTM-Dachorganisation ITR selbst aufgestellten Regeln gehalten. Bei vielen DTM-Fans kamen die Vorgänge allerdings bekanntermaßen überhaupt nicht gut an.

"Unsportlichkeit, wie wir sie auf der Strecke von Wettbewerbern gesehen haben, ist von Teamtaktik klar abzugrenzen und kann nicht auf die gleiche Stufe gestellt werden", sagte der frühere DTM-Pilot und heutige Kundensport-Koordinator von Mercedes-AMG, Thomas Jäger in Folge von Bergers Aussagen zu Motorsport-Magazin.com.

Jäger nimmt Berger und ITR in die Pflicht

Jäger wies weiter darauf hin, dass Teamorder-Regelungen nicht im Regelbuch enthalten waren: "Es liegt also an der ITR und Gerhard Berger, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, um gar nicht erst Spekulationen oder Diskussionen aufkommen zu lassen. Fahrer und Teams haben sich an das gültige Regelwerk gehalten."

Berger kündigte im Zuge der heiß diskutierten Mercedes-Teamorder am Norisring an, sich die Fakten genau ansehen zu wollen und auf Basis dieser Erkenntnisse "hoffentlich die richtigen Konsequenzen zu ziehen". Was Berger vor allem nicht schmeckte, war der Umstand, dass nicht etwa ein Teamkollege für Götz einsprang, sondern ausgerechnet Fahrer aus dem Mercedes-Team Winward, das in der Team-Wertung in Konkurrenz zu Götz' Mannschaft HRT stand.

Jäger verwies auf die enge Zusammenarbeit der AMG-Kundenteams seit dem Saisonbeginn sowie darauf, dass diese sehr viel zur Serie beigetragen und "die Zukunft der DTM überhaupt erst ermöglicht" hätten. Und weiter: "Da alle unsere Teams und Fahrer von dieser Zusammenarbeit profitieren und den Teamgedanken leben, unterstützt man sich gegenseitig. Das ist kein Novum im Motorsport."

DTM 2021: Irres Norisring-Finale als Zusammenfassung: (02:29 Min.)

DTM 2021: Teamorder keine Überraschung

Schon in den vergangenen Jahren unter den Herstellern war Berger die häufig angewendete Stallregie ein Greuel. Dass sie in der ersten Saison mit den GT3-Autos erneut ein Thema sein würde, war angesichts der unterschiedlich stark vertretenen Marken im Starterfeld keine Überraschung. Sieben Mercedes-AMG GT3 bildeten die Hoheit bei den permanent eingeschriebenen Startern. Wobei die Teams - anders als zu früheren Zeiten - über weite Strecken der Saison ihre eigenen Interessen verfolgen konnten, erst rund um den Titelkampf spitzte sich die Lage zu.

Dass es Teamorder gibt, musste Berger seit seinem Amtsantritt 2017 akzeptieren. Was der frühere Formel-1-Pilot aber keinesfalls wollte: Vereinbarungen zwischen Herstellern und Fahrern/Teams, die vorsehen, dass dem Fahrer während eines Qualifyings oder Rennens direkte oder indirekte Weisungen erteilt werden können, die ihn im sportlichen Wettbewerb beschränken.

So wurde es für die Saison 2020 auch im Reglement festgehalten. Bei einem Verstoß drohte eine Geldstrafe in Höhe von 250.000 Euro. Einen derart hohen Strafbetrag hatte es in der über 30-jährigen Geschichte der DTM nie zuvor gegeben. Zur Anwendung musste die Regel nicht kommen, da aufgrund der immensen BMW-Schwäche mit den Turbo-Prototypen sowie kein Hersteller-Zweikampf entbrannte und mit dem späteren Meister Rene Rast und Nico Müller die Titelanwärter schon früh feststanden.

Reicht Rückkehr des Teamorder-Verbots aus?

Ob eine einfache Wiedereinführung dieser Regel und eine Rückkehr zum Funkverbot für die DTM-Saison 2022 Probleme lösen würde, darf aktuell bezweifelt werden. Laut unterschiedlicher Insider werden mögliche Szenarien bereits in den Hersteller-internen Briefings vor einem Rennen durchdiskutiert und dann meist von den Fahrern entsprechend der Situation umgesetzt.

Eine Kommunikation zwischen Mercedes-AMG und den Fahrern habe im Sonntagsrennen auf dem Norisring nicht stattgefunden, sagte AMG-Mann Jäger: "Das Team und auch alle Fahrer waren natürlich vor dem Finale über die Punktesituation im Bilde."

Im Vorfeld war abgesprochen, dass andere Mercedes-Fahrer unterstützen, wenn Götz noch Chancen auf die Meisterschaft hat. "Dass die beiden (Auer und Ellis; d. Red.) mitspielen, war zu erwarten", sagte der 35-Jährige. "Das war unsere Strategie vor dem Rennen. Wenn wir soweit kommen, dass ich in der Lage bin, Meister werden zu können, dann muss man in so einer Situation zusammenhalten. Wenn ich in der Meisterschaft Zweiter geworden wäre, hätten wir die Plätze nicht getauscht."

Auer: Hilfe war für mich keine Frage

Der zwischenzeitlich mit 14 Sekunden Vorsprung führende Auer habe im Sonntagsrennen laut einer Winward-Pressemitteilung nach eigener Aussage nicht lange überlegen müssen, ob er seinen eigenen Ehrgeiz hintanstellen und Götz den titelbringenden Sieg überlassen würde: "In dieser Konstellation war es für mich keine Frage, dass ich dem Markenkollegen helfe."

Für dieses Vorgehen hätte es auch 2020 keine Strafe gegeben. Die Fahrer benötigen im Rennen auch nicht zwingend einen Funkkontakt zum Team, um die Lage einschätzen zu können. So sagte Titel-Verlierer Liam Lawson bei Motorsport TV: "Die Sache mit der Teamorder ist nicht so cool. Im Rennen habe ich auf den Bildschirmen (entlang der Strecke; d. Red.) gesehen, was abging. Ich habe auch mit dem Team gesprochen und es war klar, was passieren würde."

Maximilian Götz feiert den Gewinn der DTM-Meisterschaft 2021, Foto: DTM
Maximilian Götz feiert den Gewinn der DTM-Meisterschaft 2021, Foto: DTM

Teamorder-Verbot: 2008 eingeführt - 2013 abgeschafft

Berger war übrigens nicht der Erste, der versuchte, der Stallregie in der DTM Einhalt zu gebieten. Schon 2008 tauchte im Sportlichen Reglement ein neuer Passus auf mit dem Inhalt: "Stallregie (Teamorder), die das Rennergebnis verfälscht, ist verboten."

Der 'Erfolg' und die Folgen dieser Maßnahme: ab 2013 wurde die Teamorder in der DTM ganz offiziell wieder erlaubt. Damit war sie die letzte Serie im professionellen Motorsport, die auf ein solches Verbot verzichtete und damit gleichzeitig den Empfehlungen des Motorsportweltverbendes FIA folgte. In der Formel 1 wurde der Teamorder-Paragraph schon 2010 abgeschafft.

Stallregie-Historie in der DTM

Teamorder war in so ziemlich jeder DTM-Saison ein großes Thema in der Öffentlichkeit, wenn es wieder einmal zu einem augenscheinlichen Zwischenfall kam. Wie 2019, als sich die beiden Audi-Titelanwärter Rene Rast und Nico Müller in Brands Hatch nicht gegenseitig angriffen. Ausufernde Diskussionen und Anschuldigungen in der Öffentlichkeit waren die Folge.

Oder 2018, als Timo Glock der Konkurrenz von Mercedes vorwarf, Lucas Auer als Bremsklotz zu benutzen. Oder 2015, wo der heutige Meister Maximilian Götz auf dem Nürburgring für den Markenkollegen und auserkorenen Titelfavoriten Pascal Wehrlein verlangsamen musste. Oder auch 2007, als Alexandre Premat seinen Sieg in Zandvoort an Audi-Kollege Martin Tomczyk herschenkte. Die Liste kann über die Jahre hinweg beliebig verlängert werden mit mehr oder wenigen auffälligen Ereignissen, muss demnach ebenso als ein Teil der stets angepriesen 'DTM-DNA' gelten...