Seit dem Auftaktrennen in Monza Mitte Juni bekannt und seit Wochen das große Streit-Thema in der DTM: die Performance-Boxenstopps. Vor gut einer Woche ist bestätigt worden, dass die DTM-Dachorganisation ITR bis zum Saisonende keine weiteren Vorgaben für die Reifenwechsel-Abläufe einführen wird, bei denen sich einige Teams klar benachteiligt fühlen.

Der Boxenstopp-Zoff dürfte auch im Endspurt der Saison 2021 mit noch zwei ausstehenden Rennwochenenden in Hockenheim (01.-03. Oktober) sowie eine Woche später auf dem Norisring (08.-10. Oktober) ein heißes Thema bleiben.

"Wir gehen mit einem Nachteil in die letzten vier Rennen, der die Meisterschaft entscheiden kann", sagte Abt-Teamchef Thomas Biermaier zu Motorsport-Magazin.com. "Wir hoffen es natürlich nicht und versuchen weiter, so gut wie möglich mit dem Nachteil umzugehen, der uns immer wieder zu riskanten Strategien zwingt."

Auf der Gegenseite zeigte sich ITR-Technikchef Michael Resl überzeugt, dass die Meisterschaft auf der Strecke - und nicht in der Boxengasse - entschieden werde. Gleichzeitig kündigte der Österreicher nach zahlreichen Performance-Analysen über Wochen hinweg an, für 2022 daran zu arbeiten, "eine noch ausgeglichenere Boxenstoppsituation vor Beginn der Saison zu schaffen".

Das hilft den Teams mit Audi und BMW, die im Vergleich zu Fahrzeugen von Ferrari und Mercedes mit ihren Rad-Nuss-Systemen baubedingt benachteiligt sind, allerdings nicht im aktuellen Titelkampf. Neben Audi-Team Abt Sportsline mit Kelvin van der Linde, kann sich auch BMW-Rennstall Walkenhorst Motorsport mit Marco Wittmann Hoffnungen auf die Meisterschaft ausrechnen. Ebenfalls im Lostopf sind Spitzenreiter Liam Lawson (AF Corse-Ferrari) und Maximilian Götz (HRT-Mercedes).

Königbauer: Eklatante Unterschiede offensichtlich

"Dass es zu keiner Änderung der Pitstop-Regelung bis zum Ende der Saison kommt, finde ich natürlich nicht gut", sagte Walkenhorst-Teammanager Niclas Königbauer zu Motorsport-Magazin.com. "Ich denke, es ist klar offensichtlich, dass es eklatante Unterschiede gibt, welche nicht auf die reine Performance der jeweiligen Crew zurückzuführen sind."

Die Unterschiede zwischen Ferrari, Mercedes und den anderen Autos sind seit längerer Zeit bekannt, die ITR sträubte sich allerdings gegen eine Änderung in der laufenden Saison. Ein für Experten kurios wirkender ITR-Antrag mit unterschiedlichen Höchstgeschwindigkeiten in der Boxengasse bei Pflicht-Boxenstopps wurde vom DMSB als oberster Motorsportbehörde in Deutschland mit Verweis auf ein "Sicherheitsproblem" abgelehnt.

Ferrari überraschte Alle mit spezieller Boxenstopp-Choreographie, Foto: DTM
Ferrari überraschte Alle mit spezieller Boxenstopp-Choreographie, Foto: DTM

Rosberg-Teamchef: Enttäuschend, schade, unfair

Teams mit konzeptionell benachteiligten Autos sprechen von einem Zeitenunterschied von mindestens einer Sekunde bei den Boxenstopps. Sichtbar wurde das Dilemma für Jedermann, als Liam Lawson in Spielberg dem Pole-Setter Wittmann in Spielberg mittels Overcut-Strategie relativ locker den möglichen Sieg wegschnappte.

Beim folgenden Rennwochenende in Assen zögerte Abt Sportsline die Boxenstopps seiner beiden Fahrer van der Linde und Mike Rockenfeller lange hinaus, Teamchef Biermaier verwies auf "maximales Risiko, um überhaupt eine Chance auf vordere Plätze zu haben".

Rosberg-Teamchef Kimmo Liimatainen, dessen Rennstall zwei Audi R8 für DTM-Vizemeister Nico Müller und Rookie Dev Gore einsetzt, sprang seinem Abt-Markenkollegen zur Seite. "Die Entscheidung ist für uns als Audi-Team enttäuschend, schade und einfach auch nicht fair; zumal es sogar Vorschläge gab, wie man dieses Problem hätte lösen können", sagte Liimatainen zu Motorsport-Magazin.com. "Jetzt haben einige Teams bei jedem Boxenstopp einen Vorteil von mindestens einer Sekunde, weil deren Radmuttern fest mit der jeweiligen Felge verbunden sind - was für uns ein klarer sportlicher Nachteil ist."

ROWE-Teamchef Naundorf: Wir sind nicht erfreut

Eine von mehreren Teams geforderte Vorgabe der Boxenstopp-Choreographie, wobei nur ein Rad nach dem anderen komplett gewechselt werden darf, lehnte die ITR ab. Eine Änderung der Abläufe würde bereits eingeübte Radwechsel-Abläufe von Teams stören und eine Anpassung der Standzeit entspräche nicht dem Leistungsgedanken bei den in der DTM einzigartigen Performance-Boxenstopps, bei denen im Vergleich zu anderen GT3-Rennserien auf eine Mindeststandzeit in der Boxengasse verzichtet wird.

"Wir haben die Entscheidung der ITR zum Pitstop-Prozedere zur Kenntnis genommen", sagte ROWE-BMW-Teamchef Hans-Peter Naundorf zu Motorsport-Magazin.com. "Als ein Team, das im Vergleich zu Teams mit anderen Fahrzeug-Modellen beim Boxenstopp klare Nachteile hat, sind wir nicht erfreut. Denn wir können mit unserem BMW M6 GT3 beim Boxenstopp nicht die gleiche Performance erzielen wie andere Hersteller, deren Fahrzeuge über ein Rad-Nuss-System verfügen."

"Strategische Überlegungen extrem eingeschränkt"

Die große Sorge der Teams von Audi und BMW besteht nicht nur im reinen Zeitenunterschied in der Boxengasse, sondern auch in den aus ihrer Sicht eingeschränkten Taktik-Möglichkeiten. So haben Over- oder Undercut-Strategien häufiger zu kampflosen Positionsverlusten geführt, wie auch Walkenhorst-Teammanager Königbauer bestätigte:

"Es gibt gute Gründe dafür, dass wir zum Beispiel von Mercedes-Teams durchweg Pitstops in der erstmöglichen Runde sehen, denn bislang konnten sie durch diesen Vorteil immer Plätze gut machen. Auf der Strecke zu überholen ist meist sehr schwierig und im Zweifelsfall mit Risiko verbunden. Selbst wenn man frischere Reifen hat, kann man den Vorteil von möglichen schnelleren Rundenzeiten nicht ausspielen. Dies schränkt uns in strategischen Überlegungen extrem ein."

Boxenstopp-Zoff in der DTM 2021 hält an, Foto: DTM
Boxenstopp-Zoff in der DTM 2021 hält an, Foto: DTM

Boxenstopp-Vorbild: NASCAR

Performance-Boxenstopps ohne Mindeststandzeit sind nicht nur in der DTM und Formel 1 eine heikle und zuweilen kostspielige Angelegenheit. In der US-amerikanischen NASCAR-Serie werden ausgewiesene Reifenwechsel-Spezialisten sogar zu den Rennen eingeflogen. Auch in der DTM haben einige Teams inzwischen bei den Boxencrews aufgerüstet, in diesem Zusammenhang wird immer wieder das Mercedes-Team HRT - das zuletzt mehrfach mit den schnellsten Radwechseln glänzte - ins Spiel gebracht.

Übrigens: Die NASCAR-Verantwortlichen haben vor einigen Jahren auf die Kritik einiger Teams reagiert und eine einheitliche Vorgehensweise bei den Boxenstopps beschlossen. Der Ablauf ist klar definiert und wird, wenn sich Teams nicht an die Regeln halten, mit Strafzahlungen im fünfstelligen Dollar-Bereich geahndet.