Jetzt ist richtig Druck im Titel-Kessel der DTM! Was einige Teams und Experten seit dem Saisonbeginn in Monza thematisieren, war zuletzt im Sonntagsrennen auf dem Red Bull Ring für Jedermann deutlich sichtbar: Pole-Setter Marco Wittmann verlor im Walkenhorst-BMW den möglichen Sieg in der Boxengasse an Ferrari-Pilot Liam Lawson, der sich mit einem Doppelerfolg in Spielberg eindrucksvoll im Kampf um die Meisterschaft zurückgemeldet hat.

Im Fokus stehen die unterschiedlichen Boxenstopp-Abläufe mit Ferrari und Mercedes-AMG auf der einen sowie Audi, BMW und Lamborghini auf der anderen Seite. Der nach fünf von acht Rennwochenenden nun immer lauter werdende Vorwurf der Letztgenannten: Der technisch bedingte Vorteil am Ferrari 488 GT3 sowie am Mercedes-AMG GT3, bei denen die Radmutter direkt an der Felge befestigt ist und dadurch den Boxenstopp-Teams schnellere Choreographien ermöglicht werden, sei nicht nur unfair, sondern gar Wettbewerbsverzerrung.

Während das Audi-Kundenteam Abt Sportsline mit Titelanwärter Kelvin van der Linde schon nach dem vierten Rennen auf dem Lausitzring und später auch Audi Sport mit einem Antrag an die ITR herangetreten sind, haben sich inzwischen auch Wittmann und sein Team Walkenhorst öffentlich in die Diskussionen eingeschaltet. Der zweifache DTM-Champion und Meisterschaftsvierte machte seinem Unmut über die Boxenstopp-Problematik nach Platz zwei am Sonntag Luft.

Wittmann: Keine Chance gegen Ferrari und Mercedes

"Bei den Boxenstopps hat die Konkurrenz keine Chance gegen Ferrari und Mercedes", monierte Wittmann kurz nach dem Rennen bei Sat.1. "Wenn die BoP zwischen den Autos so gut funktioniert, dann sollte man sich auch die Boxenstopps anschauen." Wittmann hatte schon zu Beginn des dritten Rennwochenendes in Zolder - wo er später überraschend einen Sieg holen sollte - das Thema gegenüber Motorsport-Magazin.com angesprochen, nicht direkt aber eine zügige Änderung eingefordert.

Jetzt sieht die Sache anders aus, nachdem der BMW-Werksfahrer zusammen Kelvin mit van der Linde (Abt-Audi), Lawson (AF Corse Ferrari) und Maximilian Götz (HRT-Mercedes) zu den Titelanwärtern zählt. "Am Anfang hatten wir nie erwartet, mit dem M6 so gut zu sein", sagte Wittmann in der Podiums-Pressekonferenz am vergangenen Sonntag. "Da habe ich nur gedacht: 'Verdammt, wir verlieren da eine Sekunde und können sie einfach nicht aufholen.' Aber sobald man um Podestplätze und Siege kämpft, ändert sich der Blickwinkel."

Die Sorge auf Seiten von Audi und BMW, die sich in Spielberg ganz konkret beim Kampf um den Sieg zeigte: Teams von Ferrari und Mercedes können den zeitlichen Vorsprung beim Boxenstopp - die Konkurrenz spricht von 1,5 bis 2 Sekunden - nutzen, um die Strategie so auszurichten, dass Positionsgewinne durch die Boxengasse hindurch geschehen.

So gesehen bei Wittmann, der zum erstmöglichen Zeitpunkt nach der fünften Runde seinen Pflicht-Boxenstopp absolvierte und trotz augenscheinlich tadellosem Halt chancenlos mitansehen musste, wie Verfolger Lawson eine Runde später mittels Overcut-Strategie locker die Führung übernahm - trotz seines mit 25 Kilogramm Erfolgsgewicht beladenen Ferraris. Dabei fiel zudem auf, dass Lawson am Sonntag sogar 0,195 Sekunden schneller (Bestzeit 1:29.505 Minuten in Runde 12) war als bei seinem ersten Sieg am Samstag (Bestzeit 1:29.700 in Runde 15).

DTM Spielberg: Schnellste Boxenstopps aller Teams

TeamFahrerStopp-ZeitBoxengassen-ZeitRennen
HRT-MercedesMaximilian Götz5.871 30.7801
AF Corse FerrariLiam Lawson6.470 32.4982
GetSpeed-MercedesArjun Maini7.01131.4862
Winward-MercedesPhilip Ellis7.43132.4432
GruppeM-MercedesDaniel Juncadella7.49032.0361
Abt-AudiMike Rockenfeller7.73132.6972
T3-LamborghiniEsmee Hawkey8.39133.8482
Walkenhorst-BMWMarco Wittmann8.70134.2492
Mücke-MercedesMaximilian Buhk8.93033.9362
Rosberg-AudiNico Müller8.931 33.1212
ROWE-BMWSheldon van der Linde9.00134.6121

DTM-Boxenstopps: Eklatanter Unterschied moniert

Walkenhorst-Teammanager Niclas Königbauer sprach gegenüber Motorsport-Magazin.com von einem "eklatanten Zeitenunterschied von mindestens 1,5 Sekunden" mit Blick auf die Boxenstopp-Unterschiede. "Uns war klar, dass es mit Marco schwierig werden würde, wenn wir keinen Vorsprung von 2 bis 2,5 Sekunden herausfahren würden." Das funktionierte nicht, Lawson klebte bis zu Wittmanns Boxenstopp im Fenster von rund einer Sekunde am Heck des BMW.

Königbauer weiter: "Wir waren beim Pitstop sehr aggressiv. Es war klar, dass zu diesem Zeitpunkt einige Autos reinkommen und dass wir in den Verkehr geraten. Dadurch haben wir auch etwas Zeit verloren. Es war aber die einzig reale Möglichkeit, vor Liam zu bleiben. Wir hatten vor dem Rennen schon fast damit gerechnet, dass wir auf P2 zurückfallen. Wir haben versucht, mit warmen Reifen zu attackieren, das hat sich aber nicht ausgezahlt." Der Ferrari mit dem neuseeländischen GT3-Neuling machte sich im weiteren Verlauf des Rennens - nicht nur auf der Strecke - breit genug, um Wittmann beim Zieleinlauf mit zwei Zehntelsekunden Vorsprung hinter sich zu halten.

Laut ROWE-Teamchef Hans-Peter Naundorf, der mit den beiden BMW M6 von Timo Glock und Pechvogel Sheldon van der Linde vor einer ähnlichen Herausforderung steht, müsse "langsam auch mal bei den Boxenstopps eine Anpassung der Regeln kommen, denn die Fahrzeuge von BMW und Audi sind von der technischen Ausstattung da deutlich unterlegen. Da verliert man beim Reifenwechsel zwei bis drei Sekunden und damit gleich wie heute (Sonntagsrennen; d. Red.) drei bis vier Positionen in der Boxengasse, ohne dass man es beeinflussen kann".

DTM Spielberg: Zusammenfassung und Highlights zu Rennen 2 (04:13 Min.)

DTM-Technikchef: Entscheidung bis Assen

Nach dem Saisonauftakt in Monza, wo Ferrari-Topteam AF Corse die gesamte Konkurrenz mit einer Choreographie überraschte, bei der der Schlagschrauber-Mann zwischen Vorder- und Hinterachse hin und her sprintet und dadurch kein Zeitverlust beim Räderwechsel entsteht, schlug vor allem das Audi-Kundenteam Abt Sportsline bei der DTM-Dachorganisation ITR Alarm und reichte ebenso wie Audi Sport einen schriftlichen Antrag ein. Geändert hat sich seitdem nichts.

"Wir haben von Audi eine entsprechende Anfrage erhalten und eine Arbeitsgruppe eingesetzt, da das Thema nicht einfach ohne eingehende Analyse zu beantworten ist - die ist auch der Grund, warum es noch keine Entscheidung bezüglich einer möglichen Änderung gibt", bestätigte und erklärte ITR-Technikchef Michael Resl auf Anfrage von Motorsport-Magazin.com.

Resl weiter: "Es ist für uns unabdingbar, dass alle Analysen abgeschlossen sind, ehe eine Entscheidung oder gar Änderung folgt. Bis Assen wird es eine Entscheidung geben."

In die Analyse fließen Erkenntnisse ein, die an den Rennwochenenden in Zolder, auf dem Nürburgring sowie zuletzt in Spielberg gesammelt worden sind. Zu den Kriterien zählen unter anderem die Positionsgenauigkeit der Anfahrt, die Art der Choreografie, die Leistungen der einzelnen Mitglieder einer Boxenstopp-Crew sowie auch die sogenannte 'Drive off Performance', also die Zeit ab Bodenkontakt des Fahrzeugs bis zur Erreichung des Pit Speeds bei freier Fast Lane.

DTM Spielberg: Top-10 der schnellsten Boxenstopps

PositionFahrerTeamStopp-ZeitRennen
1Maximilian GötzHRT-Mercedes5.871 1
2Vincent AbrilHRT-Mercedes6.167 1
3Vincent AbrilHRT-Mercedes6.411 2
4Liam LawsonAF Corse Ferrari6.470 1
5Maximilian GötzHRT-Mercedes6.710 2
6Alex AlbonAF Corse Ferrari6.770 2
7Liam LawsonAF Corse Ferrari6.891 2
8Arjun MainiGetSpeed-Mercedes7.0112
9Philip EllisWinward-Mercedes7.4312
10Lucas AuerWinward-Mercedes7.4911

Abt Sportsline fordert zügige Entscheidung

Für einige Teams dauert der Analyse-Prozess schon zu lange, schließlich stehen nach Assen nur noch die verbleibenden Rennwochenenden in Hockenheim sowie das Saisonfinale auf dem Norisring bevor. "Ich bin schon seit Monza der Meinung, dass wir einen klaren Nachteil haben", sagte Abt-Teamchef Thomas Biermaier zu Motorsport-Magazin.com. "Wittmann hat das Rennen dadurch in der Box verloren. Uns wurde versichert, dass in Zolder und am Nürburgring eine Analyse stattfinden wird und dass man auf die Teams zukommt. Das ist verschoben worden auf nächste Woche. Ich hoffe, dass zügig reagiert wird."

Eine technische Änderung an den Fahrzeugen ist aufgrund der bereits erfolgten Homologation der GT3-Fahrzeuge für den aktuellen Zyklus nicht möglich. Stattdessen fordern Teamvertreter einen festgeschriebenen Ablauf der Choreographie beim Reifenwechsel.

"Es sollte bei jedem Auto der gleiche Ablauf sein", fand Königbauer, der gleichzeitig den Hut vor der einfallsreichen Choreographie von AF Corse zog. "Ein Rad fertigmachen und dann zum nächsten. Dann wäre es immer noch spannend, weil Jeder ähnliche Grundvoraussetzungen hat und wer viel trainiert, wird schneller sein. Du hast dann aber nicht diese eklatanten Unterschiede zwischen den Herstellern."

Berger: Am liebsten gar nichts ändern

DTM-Boss Gerhard Berger meinte schon zum Auftakt des Zolder-Wochenendes im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com, dass er persönlich am liebsten nichts ändern würde. Die Zeitenabstände zwischen den Teams seien weiter zusammengerückt und dann "weiß man nicht mehr, ob das wirklich an der Technik oder einfach an der Performance der Teams liegt".

Der frühere Formel-1-Fahrer damals weiter: "Es ist Fakt, dass BMW und Audi ein anderes System haben. Bei ein paar Zehntel ist das aus meiner Sicht aber kein riesiger Nachteil. Am liebsten würde ich persönlich gar nichts ändern, wir wollen aber definitiv Fairness und schauen uns das Thema deshalb in der entsprechenden Fachabteilung an und analysieren die Performance der Teams genau."

AF Corse: Nachteil durch wechselnde Boxen-Crews?

Zu beobachten war während der einzelnen Rennwochenenden, wie die Teams von AF Corse um Lawson und Nürburgring-Sieger Alex Albon auch am späten Freitagabend einen Boxenstopp nach dem anderen probten, um innerhalb der wenigen Sekunden jeden Handgriff richtig hinzubekommen. Trotzdem wechselten sich in den Rennen rasant schnelle Reifenwechsel mit einigen Fehlern und damit verbundenen Zeitverlusten beim italienischen Team hab.

Ein Teamchef eines konkurrierenden Teams vermutete, dass AF Corse sogar noch schneller und konstanter wäre, wenn sie mit den immer gleichen Boxen-Crews in der DTM antreten würden statt aufgrund des großen Motorsport-Programms als Ferrari-Werksteam die Mitglieder abwechselnd in unterschiedlichen Rennserien einzusetzen. So, wie es offenbar beim Mercedes-Kundenteam HRT der Fall ist, wo die Boxen-Crew nach Monza auf eine zu AF Corse vergleichbare Choreographie umgeschwenkt ist und seitdem regelmäßig mit schnellen Radwechseln aufwarten kann.