"Das ist allenfalls schön für einen Instagram-Post am Sonntagabend, aber mehr auch nicht. Wer erinnert sich schließlich noch daran, wer letztes Jahr Halbzeitmeister war?" Schon vor dem Rennwochenende auf dem Nürburgring scherte sich Kelvin van der Linde wenig um diesen vor allem im deutschen Sport gern strapazierten, inoffiziellen und höchst wertlosen Titel des sogenannten 'Halbzeitmeisters', also dem Führenden zur Hälfte einer entsprechenden Saison.

Und der Südafrikaner hielt Wort bezüglich seiner Abneigung gegenüber einer weiteren Statistik, mit der man häufig später den Verlauf einer Meisterschaft zu erklären versucht. Statt sich selbst nach 8 von 16 absolvierten Rennen auf Instagram als Champion der ersten Hälfte der DTM-Saison 2021 zu feiern, tat er das genaue Gegenteil: "Kein Grund zum Feiern", hieß es da sogar nach van der Lindes vorzeitigem Ausfall im Sonntagsrennen im Zuge einer doppelten Abt-Kollision mit Titelaspirant Liam Lawson, die für mächtig Ärger zwischen den beiden Parteien sorgte.

Trotz seines ersten punktelosen Rennens nach zuvor sieben Läufen, in denen van der Lindes schlechtestes Resultat ein achter Platz in Zolder gewesen war und er ansonsten jeden Lauf in den Top-4 beendete, hat sich der Abt-Audi-Pilot einen respektablen Vorsprung in der Meisterschaft herausgearbeitet. Und das auch trotz der wiedereingeführten Erfolgsgewichte (25 Kilo für den Sieger, 18 Kilo für den Zweiten und 15 für den Dritten eines Rennens), die den Titelkampf nach Möglichkeit künstlich spannend halten sollen.

Wo früher schon wenige Zusatz-Kilos für einen enormen Performance-Unterschied sorgen konnten, hält sich der Einfluss des DTM-Ballasts tatsächlich in Grenzen. So gesehen etwa im Samstagsrennen von Zolder, als Mike Rockenfeller beim Abt-Doppelsieg nicht an Vordermann van der Linde, der zuvor nach seinem dritten Platz am Sonntag in der Lausitz 15 Kilogramm hatte zuladen müssen, vorbeikam; wenngleich auf einer Rennstrecke, auf der Überholmanöver oft mit großem Risiko verbunden sind.

"Wenn du richtig gut bist und das Paket stimmt, kannst du damit gewinnen", sagte Rockenfeller, der einen Zusatzballast von 15 Kilogramm mit einem Zeitverlust von etwa 2,5 Zehntelsekunden pro Runde gleichsetzte. "Die Autos hier sind ja keine Formel-1-Autos von früher mit 600 Kilo." Stattdessen wiegt ein Audi R8 LMS GT3 rund 1.235 Kilo, auch, wenn sich das in der DTM nicht genau beziffern lässt, weil die Verantwortlichen bei ihrer kontroversen Entscheidung bleiben, die genauen Gewichts- und BoP-Angaben der Öffentlichkeit vorzuenthalten.

DTM-Tabelle 2021 nach 8/16 Rennen (Top-8)

PositionFahrerPunkte
1Kelvin van der Linde129
2Maximilian Götz96
3Marco Wittmann94
4Alex Albon82
5Liam Lawson80
6Philip Ellis72
7Mike Rockenfeller61
8Lucas Auer50

Behält van der Linde zwei weitere Monza-Punkte?

Kelvin van der Linde, das hat sich wie erwartet gezeigt, ist "richtig gut" mit dem GT3-Auto von Audi, das er in seiner Grundversion nun schon seit 2014 äußerst erfolgreich auf den Strecken dieser Welt pilotiert. So auch in der DTM, wo ihn beeindruckende drei Start/Ziel-Siege und insgesamt vier Podestfahrten zu 129 Punkten in der Fahrer-Tabelle und damit zur Gesamtführung führten.

Dabei miteingerechnet sind 2 weiter zur Debatte stehende Punkte, die van der Linde beim Saisonauftakt in Monza mit Platz vier zusätzlich sammelte, weil der eigentlich Drittplatzierte Vincent Abril (HRT-Mercedes) aus der Wertung genommen worden ist. Ob das so bleibt, soll am 09. September vor dem Berufungsgericht des DMSB nach langer Wartezeit endgültig entschieden werden, wie Motorsport-Magazin.com mehrfach und auch jüngst berichtet hatte:

DTM-Tabelle 2021: Audi vor Mercedes, BMW und Ferrari

Van der Linde ist gleichzeitig der einzige Fahrer im Starterfeld der 19 permanent eingeschriebenen Autos, der sich einen deutlichen Vorsprung erkämpfen konnte. Hinter dem 25-Jährigen, der seinen Geburtstag mit dem Sonntagssieg in Monza feiern konnte, hat sich eine Vielzahl von Verfolgern unterschiedlicher Marken herauskristallisiert. Audi vor Mercedes, BMW und Ferrari - mehr hätte sich DTM-Boss Gerhard Berger auf dem Weg in die erste Saison nach der Class-1-Ära wohl kaum wünschen können.

DTM 2021: Alle bisherigen Rennsieger

RennenSiegerTeam
Monza 1Liam LawsonAF Corse Ferrari
Monza 2Kelvin van der LindeAbt-Audi
Lausitz 1Philip EllisWinward-Mercedes
Lausitz 2Maximilian GötzHRT-Mercedes
Zolder 1Kelvin van der LindeAbt-Audi
Zolder 2Marco WittmannWalkenhorst-BMW
Nürburgring 1Kelvin van der LindeAbt-Audi
Nürburgring 2Alex AlbonAF Corse Ferrari

Götz mit Konstanz und DTM-Debütsieg nach vorne

Dass mit Maximilian Götz ein weiterer ausgewiesener GT3-Spezialist den zweiten Rang in der Meisterschaft belegt, ist ebenso wenig überraschend wie van der Lindes Spitzenposition. Der 35-Jährige - zehn Jahre älter als sein Abt-Rivale (auf und neben der Strecke...) - führte den seit 2016 bestens vertrauten Mercedes-AMG GT3 zu 96 Punkten, seinem DTM-Debütsieg auf dem Lausitzring sowie weiteren zwei Podestplätzen in Monza und Zolder.

Die vielfachen 'Big Points' eines Kelvin van der Linde fehlen Götz, doch mit enormer Konstanz unter anderem in den wichtigen Qualifyings - nur einmal startete er nicht aus den Top-8 - hat sich der Uffenheimer in Diensten des Mercedes-Teams Haupt Racing Team (HRT) in der Spitzengruppe etabliert.

Beide Titelaspiranten hatten bislang erst je ein punkteloses Rennen zu beklagen und am Ende könnte die Konstanz wieder einmal über den Titelgewinn in der DTM entscheiden. Einige Szene-Kenner rechnen Götz und dem Mercedes-AMG GT3, der als automobiler Allrounder ohne prägnante Schwächen gilt, gute Chancen aus, die Meisterschaft bei Götz' DTM-Rückkehr nach zuvor zwei Saisons 2015 und 2016 zu erringen.

Drei DTM-Titelanwärter: Max Götz, Kelvin van der Linde und Marco Wittmann, Foto: DTM
Drei DTM-Titelanwärter: Max Götz, Kelvin van der Linde und Marco Wittmann, Foto: DTM

DTM-Titelkampf: Das Tiefstapeln hat begonnen

Das im GT3-Sport völlig übliche Tiefstapeln der Favoriten - auch in der Hoffnung auf eine vorteilhafte BoP-Einstufung? - hat längst begonnen. "Wenn Kelvin keinen Unfall hat, fährt er die Meisterschaft nach Hause", meinte HRT-Teambesitzer und Gaststarter Hubert Haupt am Sonntagabend bei Sport1. "Es bleibt trotzdem spannend. Am Schluss wäre es schön, wenn wir die Meisterschaft holen."

Van der Linde hingegen redete seinen Vorsprung von aktuell 33 Punkten klein und bezeichnete das nächste Rennwochenende auf dem Red Bull Ring (03.-05. September 2021) als eine große Herausforderung speziell für den Audi R8 LMS GT3. "Die DTM ist eine andere Meisterschaft und vielleicht erleben wir eine Überraschung", sagte der ältere Bruder von ROWE-Pilot Sheldon van der Linde. "Aber früher haben wir auf solchen Strecken nicht um Siege gekämpft. Aktuell bin ich konservativ, ich will Punkte holen und überleben."

Tatsächlich galt Spielberg in der GT3-Vergangenheit als eine ziemlich Audi-unfreundliche Rennstrecke. Der Kurs mit nur zehn Kurven und hügeligen Passagen bevorteilte meist Fahrzeuge mit reichlich Power unter der Haube. Im ADAC GT Masters fuhren die Sieger bei 22 Rennen seit 2011 Corvette (10 Siege), Lamborghini (4), Porsche (4) oder BMW (3 Siege seit 2019). Nur 2012 gelang mit dem alten Ferrari 458 Italia GT3 einem Fahrzeug einer anderen Marke ein Sieg im GT Masters. Die erste Pole Position und der erste Podestplatz eines von Rutronik eingesetzten Audi R8 im zweiten Österreich-Rennen 2021 galten als kleine Sensation.

DTM 2021: Alle bisherigen Podestfahrer

FahrerTeamAnzahl Podestplätze
Liam LawsonAF Corse Ferrari4
Kelvin van der LindeAbt-Audi4
Maximilian GötzHRT-Mercedes3
Mike RockenfellerAbt-Audi3
Alex AlbonAF Corse Ferrari3
Philip EllisWinward-Mercedes2
Marco WittmannWalkenhorst-BMW2
Lucas AuerWinward-Mercedes1
Nico MüllerRosberg-Audi1
Daniel JuncadellaGruppeM-Mercedes1

DTM-Phänomen Marco Wittmann

Auf dem Red Bull Ring könnte die ganz große Stunde des bisherigen Meisterschafts-Phänomens schlagen: Marco Wittmann und dem von Walkenhorst Motorsport eingesetzten BMW M6 GT3. Dem Auslaufmodell, das ab 2022 durch den BMW M4 GT3 abgelöst wird, wurden vor der Saison kaum Chancen ausgerechnet und es überraschte sogar ein wenig, dass sich mit Walkenhorst und ROWE zwei Abnehmer für drei Autos fanden.

Während die beiden ROWE-BMW von Sheldon van der Linde (42 Punkte) und Timo Glock (6 Punkte) aber nur langsam in Fahrt kommen, hat sich Wittmann mit 94 Punkten zum dritten Platz in der Meisterschaft gehamstert. Neben Lucas Auer (50 Punkte) ist der zweifache DTM-Champion der einzige Fahrer im Feld, der an jedem der bisherigen Renntage Punkte auf seinem Konto verbuchen konnte.

Wittmann: Vor der Saison eher geringe Erwartungen

Dass Wittmann zuletzt auf der 'BMW-Hassstrecke' Zolder - wenn auch mit glücklichen Umständen samt Pole im wegen Timo Glock abgebrochenen Qualifying - sogar einen Sieg einfuhr, verblüffte die Konkurrenz ebenso sehr wie den 31-Jährigen selbst. Dabei war der Aufwärtstrend in den Qualifyings zuletzt enorm: In den ersten vier Zeitenjagden des Jahres verpasste Wittmann stets die Top-10, zuletzt holte er neben der Zolder-Pole drei dritte Startplätze!

"Ich hatte nicht erwartet, Dritter in der Meisterschaft zu sein", räumte der BMW-Werksfahrer ein. "Vor der Saison hatte ich eher geringe Erwartungen. Ich musste mich an den Wechsel aus dem Class-1-Auto in den GT3 gewöhnen und wir als Team mit nur einem Auto brauchten auch eine Weile. Seit Zolder konnten wir bei der Performance kräftig anziehen. Hoffentlich geht es so weiter." Mit Spielberg wartet nun Wittmanns Lieblingsstrecke, auf der er mit DTM-Prototypen zwei Rennen gewinnen konnte, dreimal aufs Podest sowie zu einer Pole Position fuhr.

Ferrari-Duo vor Red Bulls Heimspiel

Hoffnungen machen können sich auch die AF-Corse-Piloten Alex Albon und Liam Lawson, auf die in von Red Bull unterstützten Ferrari 488 GT3 quasi ein Heimspiel wartet. Der ausrangierte Formel-1-Fahrer Albon hat mit seinem Start/Ziel-Sieg auf dem Nürburgring Blut geleckt und belegt mit 82 Punkten den vierten Platz in der DTM-Tabelle. Auftaktsieger Lawson erlebte in der Eifel einen herben Rückschlag, ist nach zuvor einem Sieg und vier Podestplätzen aber immerhin noch Gesamtfünfter (80 Punkte).

"Spielberg ist knifflig", sagte Albon, der auf eine F1-Rückkehr hofft und seine Chancen mit guten Leistungen in der DTM erhöhen möchte, nach seinem Debütsieg. "BMW und Mercedes werden da stark sein. Aber die DTM ist unvorhersehbar und in Zolder hätte auch niemand erwartet, dass BMW stark ist."

Sieben Marken gingen bei der DTM auf dem Nürburgring an den Start, Foto: DTM
Sieben Marken gingen bei der DTM auf dem Nürburgring an den Start, Foto: DTM

Hallo, Kelvin: Wir erinnern uns!

Um diese Geschichte abzurunden: 2020 wurde übrigens Nico Müller nach neun Rennen Halbzeit-Meister der DTM, bevor Rene Rast - van der Lindes Kumpel und ehemaliger Teamkollege - ganze 52 Punkte aufholte und letztendlich zu seiner dritten Meisterschaft steuerte. Das wird der Audi-Werksfahrer sicherlich noch einmal im Detail erzählen, wenn er in Spielberg in die DTM zurückkehrt und das Geschehen bei seinem ersten Einsatz als TV-Experte für Sat.1 verfolgt.