Als erste und bis heute einzige Frau hat Jutta Kleinschmidt im Jahr 2001 die legendäre Rallye Dakar gewonnen. Insgesamt 17 Mal trat sie bei der härtesten Rallye der Welt an, wurde 2018 mit dem 'World Sports Legends Award' ausgezeichnet und zählt zu den bekanntesten Motorsportlern der Welt.

Mit dem Engagement in der neuen Rennserie Extreme E nimmt sich Kleinschmidt nun einer weiteren Herausforderung an. Im Interview mit Motorsport-Magazin.com spricht sie über den einzigartigen Frauen/Männer-Clou in der Offroad-Serie, den generellen Stand von Frauen im Rennsport und DTM-Debütantin Sophia Flörsch.

Frau Kleinschmidt, wie kam es zu Ihrem Einstieg in die neue Rennserie Extreme E?
Jutta Kleinschmidt: Ich habe mich seit längerer Zeit für die Extreme E interessiert. Als die Idee aufkam, in jedem der Teams eine Frau und einen Mann einzusetzen, fragten mich die Verantwortlichen nach meiner Einschätzung. Wir standen häufig in Kontakt und ich wollte gerne das neue Rennauto testen, was schließlich auch geklappt hat. Ich bin nie zuvor ein elektrisches Rennauto auf einer Offroad-Piste gefahren und war nach meinem Test ziemlich begeistert.

Wie ging es dann weiter?
Jutta Kleinschmidt: Ich wurde anschließend gefragt, ob ich aufgrund meiner Erfahrung, auch in der Elektromobilität, nicht als Beraterin einsteigen möchte. Ich finde es sehr spannend, in die erste elektrische Offroad-Serie der Welt involviert zu sein, das Starterfeld ist enorm stark besetzt und die Idee mit den gemischten Teams ist klasse. So etwas hätte ich mir schon zu meiner aktiven Zeit im Rennsport gewünscht. Viele Frauen haben dadurch die Möglichkeit, zu zeigen, wie gut sie sind.

Neben Ihrer Beraterrolle sind Sie 'Championship Driver' in der Extreme E. Heißt: Teams können bei Bedarf auf Sie und auch den zweifachen DTM-Champion Timo Scheider als Fahrer_innen zurückgreifen.
Jutta Kleinschmidt: Genau, Timo und ich begutachten in dieser Funktion die Routen auf den unterschiedlichen Strecken. Sollte bei einem Team eine Fahrerin oder ein Fahrer für ein Rennen ausfallen, stehen wir parat und springen in die Bresche.

Hätte es Sie gereizt, die gesamte Saison als Stammfahrerin zu bestreiten?
Jutta Kleinschmidt: Ja, das hätte mich auf jeden Fall gereizt! Ich möchte aber den jungen Mädels nicht den Platz wegnehmen und mich vordrängeln. Das ist schon ein kleiner Zwiespalt, muss ich zugeben. Ich fahre ja weiter super-gerne das eine oder andere Rennen, zu dem ich eingeladen werde.

Bei allem Respekt vor Ihrer großen Karriere: Trauen Sie sich heute noch zu, ein Rennauto wie den Extreme-E-Prototypen mit seinen 550 PS schnell über den Kurs zu bewegen?
Jutta Kleinschmidt: Absolut! Ich konnte das Auto ja testen und in dem Rahmen war ich auf keinen Fall langsamer als die anderen. Mein letzter Renneinsatz war im Oktober 2019 bei der Baja Portugal, seit einer Weile fahre ich dabei auch gerne Side-by-Side-Buggies. Nur im vergangenen Jahr habe ich aufgrund der Umstände keine Rennen bestritten.

Die Extreme E bestreitet ihr Renndebüt am 03./04. April 2021 in Saudi-Arabien, Foto: Extreme E
Die Extreme E bestreitet ihr Renndebüt am 03./04. April 2021 in Saudi-Arabien, Foto: Extreme E

Rosberg, Hamilton, Button, Loeb, Sainz, Ekström und jetzt noch die einzige Siegerin in der Geschichte der Rallye Dakar: Die Zusammensetzung der Extreme E klingt noch vor dem ersten Rennen wie ein Motorsport-Märchen...
Jutta Kleinschmidt: Ja, die Serie ist extrem interessant besetzt. Daran sieht man, wie wichtig es ist, dass der Motorsport umdenkt. Wenn wir weiter Motorsport wie bisher betreiben wollen, müssen wir uns etwas in Sachen neuer Technologien einfallen lassen. Und man sieht, dass das auch funktioniert und dass man richtig PR machen kann, was mit dem Rennsport ja nicht mehr so einfach ist. Das sehen wir auch im Cross-Country-Bereich, wo wir Audi gewinnen konnten. Wir können heute wieder ein Experimentier-Spielfeld sein, wie es schon früher der Fall war. Und auch die Fahrer sind offen dafür und wollen dabei sein, das sind nicht alles reine Petrol-Heads.

Ist die Extreme E denn 'richtiger' Motorsport oder mehr Marketing- und Unterhaltungs-Plattform?
Jutta Kleinschmidt: Es ist beides. Die Serie steht am Anfang und natürlich können die rein batterie-elektrisch betriebenen Autos noch nicht die Distanzen wie etwa bei der Rallye Dakar zurücklegen. Wobei andere Motorsport-Events ja auch nicht so lange sind. Ich bin mal Trophée Andros gefahren, das hat zwar großen Spaß gemacht, aber so viel gefahren bist du da nicht. Das sind auch kurze Events, aber natürlich ist es Motorsport. Die Extreme E ist eine andere Art Motorsport, in der wir jetzt Erfahrung sammeln müssen. Die Formel E wurde in ihren Anfangsjahren auch etwas belächelt und heute ist sie die Serie mit den meisten Hersteller-Engagements. Und PR war schon immer wichtig im Motorsport, der ist ja nicht gerade billig. Wir haben schließlich nicht nur Turnschuhe und Bälle als Material, sondern technisch hochentwickelte Fahrzeuge.

Und mit der Idee der gemischten Teams hat Formel-E- und -Extreme-E-Gründer Alejandro Agag wieder einmal den Zeitgeist getroffen?
Jutta Kleinschmidt: Eine tolle Idee, die mir von Anfang an super gefallen hat. Das ist eine ganz große Chance für junge Frauen im Motorsport, zeigen zu können, was sie draufhaben. Das ist für Frauen im Motorsport sonst ja nicht so einfach. In der Extreme E können sie sich gegen Top-Männer, die Besten der Besten, beweisen. Ich bin gespannt, zu sehen, wie sich die Frauen entwickeln und ihr Potenzial ausschöpfen. Einige können wir dann hoffentlich auch in anderen Cross-Country-Veranstaltungen wie der Rallye Dakar sehen.

Ist Extreme E aktuell die einzige realistische Möglichkeit für Frauen, im Motorsport auf einem Level mit Männern in den Wettbewerb treten zu können?
Jutta Kleinschmidt: Nein, das gab's schon immer und in unterschiedlichen Kategorien. Ich bin ja auch gegen die Männer angetreten. Wir sehen doch aktuell Frauen im Motorsport, es sind nur vergleichsweise wenige. Das war zu meiner aktiven Zeit nicht anders. In der Extreme E besteht die Besonderheit darin, dass es gleich viele Frauen und Männer gibt. Hier sind Frauen eben nicht 'nur' die Ausnahme und der Motorsport ist zum Glück noch eine Sportart, in der man mischen kann.

17-fache Dakar-Starterin und Gesamtsiegerin 2001: Jutta Kleinschmidt, Foto: ADAC Rallye Deutschland
17-fache Dakar-Starterin und Gesamtsiegerin 2001: Jutta Kleinschmidt, Foto: ADAC Rallye Deutschland

Gleichzeitig sind große Erfolge durch Frauen - Ihr Dakar-Sieg 2001, Ellen Lohrs DTM-Rennsieg 1992 oder die beiden Siege bei den 24h-Rennen Nürburgring durch die von kurzem verstorbene Sabine Schmitz - die Ausnahme im Motorsport. Warum tun sich Frauen so schwer?
Jutta Kleinschmidt: Dafür gibt es viele Gründe. Zum einen gibt es vergleichsweise viel weniger Frauen, die an der Basis anfangen. Dadurch bleiben weniger übrig, wenn es in die nächsthöheren Kategorien geht. Wer heute als junges Mädchen im Kartsport anfängt, ist immer noch eine Ausnahme zwischen den Jungs. Und man muss ehrlich sagen, dass es für Frauen schwieriger ist, an gutes Material zu kommen, weil der Glaube an die Frauen noch nicht so wirklich da ist. Es gibt ein paar Ausnahmen, aber im Allgemeinen hat man noch immer mehr Vertrauen in einen männlichen Fahrer. Die Fahrerin wird hingegen gern als PR-Aushängeschild gesehen und wenn es drauf ankommt, wer das beste Material bekommt, sehen Teams die Männer eher als Fahrer Nummer eins. Und dann wird es schwierig, sein Potenzial zeigen zu können, weil das Material nun einmal eine große Rolle spielt.

In der Extreme E haben alle die gleichen Möglichkeiten...
Jutta Kleinschmidt: Richtig, Männer und Frauen fahren in den gleichen Autos. In der Extreme E haben Frauen ein bisschen das Problem, dass sie gleich gegen große Stars antreten müssen, die in ihrem Leben schon viel gewonnen haben. Aber, nun gut, man wächst mit seinen Herausforderungen!

Mit der W Series wurde 2019 eine Formelserie ausschließlich für Frauen geschaffen. Jamie Chadwick, die jetzt in der Extreme E antritt, war die erste Meisterin. Halten Sie diese Serie für eine gute Entscheidung?
Jutta Kleinschmidt: Ich bin immer erst mal dafür, dass wir durchaus zusammen mit den Männern fahren können. Das ist meine Meinung. Mir hat es immer Spaß gemacht, mit und gegen die Männer zu fahren. Ich möchte im Motorsport nicht trennen. Aber ich finde es auch gut, wenn es solche Serien gibt, damit Frauen überhaupt die Chance haben, dorthin zu kommen. In diesen Rennserien kann ich mich etablieren, um dann auch im gemischten Motorsport ein gutes Auto zu bekommen. Außerdem können die Mädchen dort unbeschwert lernen und sich entwickeln. Wenn man als Frau irgendwo reinkommt, liegt ja sofort der Fokus darauf. Das kann ganz schön belastend sein, weil man immer unter dem Druck steht, Leistung bringen zu müssen.

Sophia Flörsch ist derzeit sehr prominent in den Medien vertreten und gibt 2021 ihr Debüt in der DTM. Was trauen Sie ihr im Motorsport zu?
Jutta Kleinschmidt: Mein Glückwunsch an Sophia zum Einstieg in die DTM! Ich traue ihr einiges zu und glaube, dass da noch einiges kommen wird. Ihren Unfall beim Formel-3-Rennen in Macau 2018 hat sie gut weggesteckt. Das muss man auch erst mal schaffen. Sie ist super-talentiert und wäre sicherlich auch eine Bereicherung für die Extreme E gewesen. Sie hat das Auto ja auch getestet, sich aber entschieden, ihre Karriere auf der Rundstrecke fortzusetzen. Das kann ich voll verstehen.

Wie wichtig war der Dakar-Sieg 2001 für Ihre weitere Karriere und welche Rolle spielte die Vorbildfunktion für Frauen im Motorsport?
Jutta Kleinschmidt: Für mich war der Dakar-Sieg natürlich ein Wahnsinns-Erfolg, weil man immer davon träumt, solch ein Rennen zu gewinnen. Das hat dahingehend vieles geändert, als dass es anschließend viele Frauen gab, die das super fanden und dem gern nacheifern wollten. Zum Beispiel die beiden Extreme-E-Fahrerinnen Cristina Gutierrez und Laia Sanz, die in ihren Teams mit Sebastien Loeb respektive Carlos Sainz starten. Ich kenne beide schon lange und sie haben mir oft gesagt, wie sehr meine Erfolge sie motiviert haben. Sie wollen das auch erreichen und es hilft ihnen, das Selbstbewusstsein zu haben, es schaffen zu können - weil man gezeigt hat, dass es geht. Und wissen Sie was?

Ja, bitte?
Jutta Kleinschmidt: Ich kann mich noch heute daran erinnern, dass es nach meinem Dakar-Sieg echt einige Menschen gab, die meinten, dass die Dakar ja gar nicht so schwer sein kann, wenn da sogar eine Frau gewinnt! Aber die meisten haben es natürlich positiv gesehen, vor allem die Frauen. Es ist schön, zu sehen, dass man andere Menschen motivieren und Vorbild sein kann. Am wichtigsten war der Sieg aber für mich, weil ich mir damit einen Traum erfüllt habe. Und ich glaube nicht, dass sich Volkswagen im Anschluss bei der Dakar engagiert hätte, wenn ich das Rennen nicht gewonnen hätte. Das war auch für VW eine Motivation. Zudem wurde der Motorsport durch meinen Dakar-Sieg in Deutschland bekannter, das war auch toll. Und man muss ehrlich sagen, dass es hier Zeiten gab, wo der Motorsport gar nicht so populär war. Dann kam Michael Schumacher und schon hatte der Rennsport einen riesigen Hype. Die Resonanz war schon toll.

2001: Jutta Kleinschmidt gewinnt die Rallye Dakar als erste Frau, Foto: Sutton
2001: Jutta Kleinschmidt gewinnt die Rallye Dakar als erste Frau, Foto: Sutton

Sie hatten in Ihrer Karriere Beifahrerinnen wie Tina Thörner oder Fabrizia Pons, aber auch Männer. Welche Unterschiede haben sie da festgestellt?
Jutta Kleinschmidt: Ich möchte nicht verallgemeinern und kann nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen. Den größten Unterschied habe ich darin erkannt, dass sich Frauen besser vorbereiten. Da ist eine Frau viel akribischer als ein Mann, das muss ich so sagen. Das ist eine Folge des Leistungsdrucks, während sich Männer eher gesagt haben: 'Passt schon, das bekomme ich eh hin'. Mit Blick auf das Mechanische waren wir bei Rallyes mit einer Frau als Beifahrerin allerdings auf uns allein gestellt. Wenn man heute etwa an einem Buggy einen 65 Kilo schweren Reifen wechseln muss, dann tun sich Männer natürlich leichter als eine Frau wie Fabrizia mit ihren 50 Kilo Körpergewicht.