Jetzt ist in Zolder eingetreten, was sich schon am vergangenen Wochenende angedeutet hatte: Nico Müller hat nach dem 15. Saisonrennen zum ersten Mal in diesem Jahr die Führung in der DTM-Meisterschaft eingebüßt. Während Rene Rast beim kühlen Double-Header in Belgien mit drei Siegen in Folge an die Spitze stürmte, macht sich beim Schweizer Titelanwärter der Frust breit.

Anlässe dafür gab es genug im Verlauf der letzten acht Tage. Wer hätte vor drei Rennen schon ahnen können, dass Rast einen Rückstand von 47 Punkten aufholen würde in einem Jahr, in dem drei Audi-Piloten das Podest für sich reserviert haben? Es kam noch schlimmer aus Sicht von Müller: Drei Rennen vor dem Saisonende führt Titelverteidiger Rast sogar mit zehn Punkten.

Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie gut es für Rast beziehungsweise wie schlecht es für Müller und Abt-Teamkollege Robin Frijns in Zolder läuft: Rast errang in den drei Rennen zusammen 82 Punkte - und damit mehr als Müller (25 Punkte) und Frijns (38 Punkte) zusammen!

In den Qualifyings konnte das Abt-Duo nicht an die bisher überragenden Leistungen anknüpfen. Stattdessen hat der enorme Temperaturabfall Rast - bei den Zeitenjagden zuvor oft das dritte Rad am Abt-Wagen - nach oben katapultiert.

DTM 2020 Zolder II: Rennen 1 als Zusammenfassung (03:02 Min.)

Ohne Crash könnte Frijns Spitzenreiter sein

Rast ist aktuell in aller Munde, der dritte DTM-Titel nach 2017 und 2019 realistischer als je zuvor. Auch, weil Lokalmatador Frijns vergangene Woche patzte und seinen Audi in die Leitplanken manövrierte. Ohne die Nullrunde könnte der gebürtige Niederländer die Meisterschaft heute anführen, schließlich beendete er zwei der drei Rennen in Zolder auf dem zweiten Platz, nachdem er mit 29 Punkten Vorsprung auf Rast angereist war.

Anders Müller, der auf dem neu asphaltierten Circuit Zolder nicht in seinen Rhythmus findet und in den Qualifyings zweimal den siebten und diesmal nur den achten Startplatz belegte. Merke: In den zwölf vorangegangenen Qualifyings fuhr Müller mit nur einer Ausnahme durchweg in die Top-3 der Startaufstellung.

DTM-Meisterschaft 2020: Top-5 nach 15/18 Rennen (Top-5)

PositionFahrerHerstellerPunkte
1Rene RastAudi277
2Nico MüllerAudi267
3Robin FrijnsAudi262
4Mike RockenfellerAudi109
5Timo GlockBMW104

Müller: Newey riskiert meine Meisterschaft

Auch das Glück scheint Müller derzeit nicht hold zu sein. Am vergangenen Wochenende fühlte er sich um Meisterschaftspunkte betrogen, weil ihn das durch den Frijns-Unfall ausgelöste Safety Car weit zurückwarf. Am heutigen Samstag war es Harrison Newey vom Audi-Kundenteam WRT. Der Brite kollidierte in der Startphase mit Müller, was den Titelanwärter bis auf den vorletzten Platz zurückwarf.

"Ich verstehe nicht, warum er in Turn 2 so aggressiv war", schüttelte Müller mit dem Kopf. "Ich dachte erst, dass er selbst zuvor berührt worden wäre, aber das war nicht der Fall. Deshalb verstehe ich nicht, warum er in so einer Situation riskiert, meine Meisterschaft zu ruinieren. Ich verstehe, dass er sein eigenes Rennen fährt, aber das war für mich über der Grenze."

Müller: Wo ist die Pace hin?

Der Newey-Zwischenfall war ärgerlich, noch gravierender aber: Müller fehlt schlichtweg die Pace. Während Rast aufblüht und Frijns mit einer Ausnahme konstant abliefert, gerät er selbst ins Hintertreffen. Müller: "Wir haben die Meisterschaft zwei Drittel der Saison angeführt und ich hatte immer die Basis, die mir Zuversicht gab, jeden Tag gewinnen zu können. Aber jetzt ist die Pace nicht da und ich fühle mich in den Rennen auch nicht stark genug."

Trotz der Rückschläge will Abt Sportsline - vorzeitiger Meister in der Team-Wertung - jetzt nicht in Panik verfallen. Der Plan in Zolder klingt simpel, scheint aber aktuell schwer umsetzbar zu sein: im Qualifying vor Rast stehen auf dem Kurs, der Positionsgewinne auch wegen der Überholhilfen-Verteidigung nur sehr bedingt ermöglicht. "Wenn du fünf, sechs Runden hinter einem Auto fährst, killst du deine Reifen", sagte Frijns.

"Wenn wir neben ihm starten, können wir Rast schlagen", sagte Abt-Teamchef Thomas Biermaier und appellierte an die eigene, bislang so erfolgreiche Truppe: "Letzte Woche hat das ganze Team ein paar Fehler gemacht. Jeder weiß, dass wir uns selbst verbessern müssen, sonst können wir morgen nicht gewinnen. Aber wir geben nie auf."

Rast-Hoch wie 2018

Rast unterdessen erlebt ein Hoch wie 2018, als er im Schlussspurt um die Meisterschaft mit dem am besten aufgestellten Audi im Feld sechs Rennen in Serie gewann und den Titel nur knapp an Gary Paffett verlor. Auch den offene Teamkampf bei den Äbten - die vorbildlich auf Taktikspielchen verzichten - wähnt er nun als Vorteil für sich.

Rast, der im Sonntagsrennen seinen Vorsprung vor dem Saisonfinale in Hockenheim noch weiter ausbauen will: "Robin ist nicht der Player für Nico. Er hat selbst gute Chancen und ist hier schneller. Das versetzt uns in eine komfortablere Position, weil die beiden auch miteinander kämpfen. Wir wussten vor dem Rennen nicht, ob wir auf Nico oder auf Robin reagieren sollen. Aber Robin kämpft selbst um den Titel, deshalb musste er auch auf Nicos frühen Boxenstopp reagieren. So konnten wir auf Robin warten und auf seinen Boxenstopp reagieren."