1. - Wie sieht die Ausgangslage der DTM/ITR aus?

Seit 129 Tagen steht fest, dass Audi sein Engagement in der DTM nicht über 2020 hinaus verlängern wird. Sicher ist bisher nur: Die DTM in ihrer aktuellen Form mit dem seit 2019 bestehenden Class-1-Reglement hat keine Zukunft. In Folge des Audi-Aus hat sich mit BMW auch der letzte verbliebene Hersteller zum Saisonende aus der Tourenwagenserie verabschiedet.

Seit mehr als vier Monaten verhandeln Gerhard Berger, 1. und einziger Vorsitzender des ITR e.V. (einen 2. Vorsitzenden gibt es seit dem Abgang von Florian Zitzlsperger 2018 nicht mehr) sowie Audi und BMW als Vereinsmitglieder über eine Abwicklung respektive ein Fortführungsszenario des ITR e.V., der den operativen Geschäftsbetrieb am 01. April 2017 an die ITR GmbH übertragen hat.

Berger nimmt Audi und BMW in Form der jeweiligen Motorsportchefs Dieter Gass beziehungsweise Jens Marquardt in die Pflicht. "Ich bin von diesen Herstellern gebeten worden, diese Plattform für sie voranzutreiben beziehungsweise ihre Interessen zu vertreten", sagte der Österreicher. "Das mache ich. Sie müssen mir und uns allen sagen: linksrum oder rechtsrum."

2. - Warum wurde noch keine Lösung für 2021 gefunden?

Die Interessen der Vereinsmitglieder scheinen weit auseinanderzugehen. Gerhard Berger gab an, mit der Schaffung einer Profi-GT3 ein mögliches Fortführungsszenario präsentiert zu haben. Audi-Motorsportchef Dieter Gass zeigte sich in der Öffentlichkeit offen für diese Idee und wollte nicht ausschließen, dass Audi-Rennwagen - jedoch nicht als Werkseinsatz - auf einer solchen Plattform an den Start gehen könnten.

Auf der Gegenseite zeigte sich BMW Motorsport-Direktor Jens Marquardt wenig begeistert von diesem Vorschlag. Man müsse aufpassen, dass der Kundensport auch Kundensport bleibt, merkte er mehrfach an und stieß damit seinerseits auf wenig Begeisterung bei Berger: "Profi-Rennsport ist einfach etwas anderes und die DTM steht nicht für Kundenrennsport. Das weiß Jens Marquardt ganz genau so, das haben wir sehr oft besprochen. Und für diesen Kundenrennsport brauche ich auch keine Rennsportabteilung mehr."

GT3-Sport ausschließlich mit Profi-Rennfahrern scheint bei BMW mit dem aktuellen Produkt derzeit kein Thema zu sein. Der neue BMW M4 GT3 befindet sich noch in der Entwicklung und soll erst 2022 an Kunden ausgeliefert werden. Marquardt bei Sat.1: "Wir haben den M6, der alt und nicht mehr konkurrenzfähig ist."

Neben der GT3-Frage dürfte das Finanzielle eine entscheidende Rolle spielen. Sollte der ITR e.V. abgewickelt werden, müssten theoretisch Vermögenswerte an die Mitglieder ausgezahlt werden. Wie das in der Satzung des ITR e.V. geregelt ist, ist nicht klar. Möglichweise nach den Jahren der Zugehörigkeit? Mercedes ist seit dem DTM-Ausstieg 2018 kein Mitglied mehr - ob oder wie der Hersteller dabei ausgezahlt worden ist, ist öffentlich nicht bekannt.

3. - Bis wann muss ein Fortführungsszenario feststehen?

Der optimale Zeitpunkt dürfte längst verstrichen sein. Mit jedem weiteren Tag ohne Entscheidung mehren sich die Zweifel in der deutschen Motorsportszene bezüglich Umsetzbarkeit und Finanzierung. "Wenn wir für die Zukunft etwas aufbauen wollen, müssen wir bald ein Ergebnis erzielen", sagte Dieter Gass am Rande der Lausitzring-Rennen.

Gerhard Berger drängte ebenfalls auf eine Lösung, die aber zunächst mit den ITR-Mitgliedern gefunden werden müsse. Zu einer möglichen GT3-DTM sagte er: "Ich habe keine konkreten Gespräche mit Herstellern oder Teams geführt. Das wäre verlorene Zeit, wenn am Ende des Tages Audi und BMW sagen: 'Wir wollen das ganze Thema abwickeln und einstellen'."

4. - Wie könnte eine GT3-DTM aussehen?

Die Grundzüge sind bekannt: Gerhard Berger stellt sich eine Rennserie vor, die Sprintrennen ohne Fahrerwechsel mit GT3-Fahrzeugen durchführt. Ausschließlich Profi-Rennfahrer sollen hier an den Start gehen für unabhängig arbeitende Teams.

Audi-Motorsportchef Dieter Gass: "Sicherlich ist es keine einfache Mission, die Finanzierung zu finden. Ein anderes Reglement mit professionellen Fahrern ist eine gute Idee. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir keinen professionellen Motorsport mehr in Deutschland hätten, wenn es die DTM nicht mehr gibt."

Ohne eine Einstufung der GT3-Autos geht es aufgrund der unterschiedlichen Fahrzeugkonzepte nicht. Aktuell verfügen GT3-Rennwagen über 550 bis 585 PS. Eine Leistungssteigerung um rund 50 PS soll ohne kostenintensive Eingriffe möglich sein. Der Effekt hält sich bei den vergleichsweise schweren Autos allerdings in Grenzen. Eine weitere Möglichkeit: Fahrhilfen wie ABS oder Traktionskontrolle könnten generell abgeschaltet werden, um die Fahrer weiter in den Fokus zu rücken.

5. - Wie steht der ADAC zum GT3-DTM-Szenario?

Lange Zeit hielt sich der ADAC, der mit dem ADAC GT Masters seit 2007 die weltweit stärkste nationale GT3-Plattform der Welt betreibt, mit Äußerungen zurück. Ende August trat erstmals der mächtige ADAC-Sportpräsident Hermann Tomczyk an die Öffentlichkeit.

"Ich sehe keinen Sinn in einer weiteren GT3-Serie in Deutschland, denn sie würde dem gesamten deutschen Motorsport schaden", wurde Tomczyk in der Autozeitung zitiert. "Die DTM setzt auf Werkssport und das ADAC GT Masters auf professionellen Kundensport mit Top-Fahrern in Top-Teams. Beide Serien hatten damit seit vielen Jahren klare Abgrenzungen voneinander. Wenn die DTM ihr Modell künftig ändert und ebenfalls auf Kundensport und die GT3-Klasse abzielt, tritt sie in direkte Konkurrenz zum ADAC GT Masters."

Berger, der sich zuletzt mit der vielzitierten 'Hobby-Meisterschaft' nicht nur Freunde gemacht hatte, schoss verbal zurück. "Es wäre keine Gefahr für den deutschen Motorsport, sondern eine Gefahr für seine Plattform - nur um das richtig zu stellen", sagte er kürzlich im Rahmen einer internationalen Medienrunde (via Motorsport.com).

Laut Berger sei eine Fortführung der DTM, "egal unter welchem Technischen Reglement, großartig für den deutschen Motorsport. Die DTM ist seit 30 Jahren der deutsche Motorsport - nicht der ADAC Deutschland." Ein Ende der DTM wäre laut Berger positiv für Tomczyks wirtschaftliche Interessen: "Wäre ich also in seiner Position, würde ich jeden Tag in die Kirche gehen und hoffen, dass es mit der DTM vorbei ist."

6. - Welche Folgen hätte ein DTM-Aus?

Ein Wegfall der DTM-Plattform würde viele Jobs in der Szene kosten, man spricht von rund 2.500 Arbeitsplätzen in diesem Zusammenhang. Daran kann ganz besonders in Zeiten der Corona-Krise niemand ein Interesse haben. "Ich persönlich glaube, dass die DTM nach so langer und erfolgreicher Zeit bis zum heutigen Tage es wert ist, sich dafür einzusetzen. Für die Fans, die Mitarbeiter, die vielen Jahre harter Arbeit", sagte Gerhard Berger.

Zwar ist die DTM bei weitem nicht mehr so populär wie zu früheren Zeiten, doch die TV-Zahlen bleiben eine Hausnummer im deutschen Rennsport. Das letzte Samstagsrennen auf dem Lausitzring verfolgten 650.000 Zuschauer bei TV-Partner Sat.1, was zu einem Marktanteil von 8,1 Prozent führte - dem zweithöchsten Wert im dritten Jahr mit dem Privatsender. 2019 sahen durchschnittlich 616.000 Zuschauer die Rennen der DTM bei Sat.1; kein herausragender, aber ein ordentlicher Wert für ein Sportprodukt abseits vom Fußball.

Der zweifache Le-Mans-Sieger und DTM/ITC-Champion Manuel Reuter kritisierte bei Motorsport-Magazin.com: "Toll war die DTM in den Zeiten, die ich als Fahrer miterlebt habe, mit top Quoten, vollen Tribünen und einem klasse Rahmenprogramm. Aber in den letzten Jahren war die DTM bereits scheintot, wenn man es realistisch betrachtet. Die DTM lebt noch, aber nur wegen ihrer Historie."

Das Rahmenprogramm der DTM galt einst als Kaderschmiede für die Stars von morgen. Aus der Formel BMW, Formel 3 oder dem Porsche Carrera Cup Deutschland gingen schier unzählige Profis hervor. Seit einigen Jahren ist das Begleitprogramm der Tourenwagenserie jedoch merklich geschrumpft. Trotzdem bildete die DTM in Verbindung mit einem Werksvertrag für Nachwuchsfahrer stets einen Fixpunkt in der Karriereplanung.

7. - Gibt es ein langfristiges Konzept für die Zukunft?

Gerhard Berger bekräftigte: "Ich habe klare Vorstellungen mittel- und langfristig. Es wäre jetzt aber der falsche Zeitpunkt, darüber zu reden. Man kann nicht über den zweiten Schritt reden, wenn der erste nicht klar ist."

Das GT3-Szenario dürfte ein aus der Not geborener Übergang sein hin zu einer Serie mit alternativen Antriebskonzepten. Ein solches Konzept hatte die ITR für 2025 vorgestellt, den Weg dorthin sollte die Einführung von synthetischen Kraftstoffen und Einheits-Hybridsystemen bereiten.

Bergers direkter ITR-Vorgänger und HWA-Gründer, Hans Werner Aufrecht, präsentierte kürzlich mit der sogenannten HYRAZE League eine neue Rennserie, bei der Wasserstoff-Rennautos mit 800 PS zum Einsatz kommen sollen. Das Streckendebüt ist für 2023 angepeilt, die Deutschland-Rennen im Rahmen des ADAC GT Masters ausgetragen werden. Mit HWA, ADAC, Dekra, DMSB oder Schaeffler sind neben einigen bekannten Persönlichkeiten mit DTM-Vergangenheit zahlreiche namhafte Unternehmen beteiligt, die in der DTM engagiert waren oder sind.