Aus dem Tourenwagen- in den Kontaktsport? Klingt komisch, ist aber so. Rene Rast hat schon eine Vorahnung, was ihn bei seinem Formel-E-Debüt mit Audi beim großen Saisonfinale in Berlin erwartet. Denn: In der Elektro-Rennserie geht es oftmals kontaktfreudiger zu als in der DTM, wo die Fahrer nach Möglichkeit versuchen, einen Lackaustausch mit ihren Tourenwagen respektive Silhouetten-Prototypen zu vermeiden.

"Wir wissen alle, dass die Formel E eine schwierige Serie ist, vor allem während der Rennen", sagte Rast nach seinem zweitägigen Test auf dem Lausitzring in der vergangenen Woche. "Hier und da geht es ziemlich hart zur Sache, es gibt auch Kontakt. Das ist in der DTM nicht immer der Fall."

Für harten Kontaktsport war die DTM eher in ihrer alten Ära bekannt, als die Autos noch denen aus den Schaufenstern der Autohändler glichen. Mit zunehmender Professionalisierung und höheren Budgets stiegen jedoch die Möglichkeiten der Ingenieure und damit der aerodynamische Aspekt eines DTM-Autos. In der Neuen DTM seit 2000 gab es Zeiten, als schon ein kleiner Kontakt einen Boliden völlig aus der Balance brachte.

In den letzten Jahren ist die Tourenwagenserie zurückgerudert, die Aero nun nicht mehr ganz so ausgeprägt und anfällig. Zahlreichen Aero-Flügelchen vor allem an der Frontpartie schoben die Regelmacher einen Riegel vor, auch das Heck ist bei den aktuellen Class-1-Autos mit Turbo-Motor und einer Grundleistung von rund 580 PS etwas simpler gestaltet.

Dennoch: Im Idealfall bestreitet ein Fahrer in der DTM 'sein eigenes Rennen', also ohne Feindkontakt, um das Auto nicht zu beschädigen und die jeweilige Strategie mit den sensiblen Hankook-Reifen möglichst optimal umzusetzen.

Lackaustausch in der Formel E

In der Formel E sieht das etwas anders aus. Hier lassen die aktuellen Gen2-Autos durchaus Lackaustausch zu, ohne, dass die kaum vorhandene Aerodynamik beeinträchtigt würde. Alle Fahrer wissen: Die Frontspoiler der Quasi-Formelboliden sind robust genug konstruiert, um ein Anklopfen am fragileren Heck des Vordermannes problemlos zu ermöglichen. In der Formel E leiden die Rundenzeiten selbst bei einer fehlenden Frontpartie kaum.

Dieser Umstand nahm vor allem in der Debüt-Saison der Gen2-Boliden 2018/19 derartige Ausmaße an, dass in der ersten Saisonhälfte kaum ein Rennen ohne Safety-Car-Phase oder Rot-Abbruch beendet werden konnte. Stattdessen entwickelten sich Vollgas-Rennen, während das Energie-Management in den Hintergrund rückte. Erst durch die Einführung eines direkten Verwarn-Systems durch die Rennleitung - eine 'gelbe Karte' per Funk - verliefen die Rennen in gemäßigteren Bahnen.

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Das Chaos ist Geschichte

In den bisherigen fünf Rennen der laufenden Saison 2019/20, die Anfang August mit sechs Rennen in Berlin innerhalb von neun Tagen ihren Abschluss findet, hielt sich die Anzahl von Kollisionen stark in Grenzen. Ein Regeleingriff machte es möglich: Um der Rekuperation der Batterien und effizientem Rennfahren künftig wieder mehr Raum zu widmen, wird den Fahrern im Falle eines Safety Car oder einer Full-Course-Yellow-Phase automatisch Energie abgezogen (1 kWh pro Minute).

In den ersten vier Rennen der aktuellen Saison rückte das Safety Car zwar insgesamt sechsmal aus, doch die teilweise chaotischen Zustände der vergangenen Saison sind Geschichte. Und so wird auch Rast bei den drei Doppel-Rennen in der deutschen Hauptstadt mit der Herausforderung des richtigen Umgangs mit dem Energie-Management konfrontiert sein.

Rast über Formel E: Einzigartiger Fahrstil

"In der DTM hast du für Qualifying und Rennen einen sehr ähnlichen Fahrstil", beschreibt der zweifache und amtierende Champion, der die Nachfolge des rausgeworfenen Daniel Abt antritt. "In der Formel E ist es anders, weil du viel mehr Power auf einer Runde im Qualifying hast. Im Rennen hingegen musst du Energie sparen. Du brauchst also zwei ganz unterschiedliche Fahrstile, da ist die Formel E ziemlich einzigartig. Beim Test habe ich einen ersten Eindruck vom Energie-Management erhalten, muss aber noch vieles lernen."

In der Formel E können die Fahrer auf einer schnellen Runde im Qualifying die maximal zur Verfügung stehende Leistung von 250 kW (340 PS abrufen). Im Rennen mit einer Dauer von 45 Minuten ist die Power auf 200 kW (272 PS) begrenzt. Durch den Einsatz des Attack Mode (235 kW/319 PS) oder des Fan-Boost (250 kW/340 PS) steht zusätzliche Leistung zur Verfügung.

Rast, der 2016 bereits ein Formel-E-Rennen in Berlin - damals in der Innenstadt - bestritten hat: "Meine Erwartungen sind, hoffentlich bei der Pace zu sein und im Qualifying nicht zwei Sekunden hinten. Ich möchte es ins Mittelfeld schaffen und hoffentlich hier und da Punkte erzielen. Das wird eine große Herausforderung, in so kurzer Zeit die Abläufe zu lernen." In der Formel E werden Training, Qualifying und Rennen innerhalb eines Tages ausgetragen.