Die DTM blickt auf eine über 30-jährige und äußerst bewegte Geschichte zurück. Unvergessen bleibt die Rückkehr der Tourenwagenserie zum Jahr 2000. Mittendrin: Reporter-Legende Rainer Braun. Die spannenden Hintergründe dieses enormen Kraftaktes beschreibt der heute 79-Jährige in seinem 2015 erschienenen Buch "Hallo Fahrerlager Classic". Motorsport-Magazin.com veröffentlicht täglich einen Auszug aus dem Kapitel 'In geheimer Mission'. In sechs Teilen nimmt Rainer Braun die Leser mit auf eine packende Reise vom Ende der STW-Serie bis hin zur Wiederauferstehung von Deutschlands wichtigster Rennserie.

Juni 1998

Wir machen unverdrossen weiter und haben einen Termin bei BMW in München im Büro von Marketing-Boss Karl-Heinz Kalbfell und seinem Mitarbeiter Thomas Giuliani. Es ist Montag, der 22. Juni. Bernard, Danner und ich beschwören Kalbfell, seine Ressentiments gegen diverse Entscheidungsträger der alten DTM endlich zu vergessen und sich mit BMW an einem Neustart zu beteiligen. Kalbfell gibt sich interessiert und kann der Idee durchaus was abgewinnen. "Wenn BMW da jemals dabei sein sollte, dann nur mit einem kernigen V8 Motor und richtig viel Leistung. Es muss ordentlich krachen, sonst macht das keinen Sinn."

Bei dieser Gelegenheit begraben Kalbfell und Danner mit einem festen Händedruck auch eine länger zurückliegende Meinungsverschiedenheit. Danach verabschiedet uns der einflussreiche BMW-Manager mit den Worten: "Ihre Bemühungen sind lobenswert, aber was BMW betrifft, bin ich eher skeptisch. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall viel Erfolg." Das geplante Anschlussgespräch am selben Tag mit Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ulrich am Flughafen in München wird von Audi Sport wegen Terminschwierigkeiten kurzfristig abgesagt. Ein Tag, der uns eigentlich nicht viel weiter gebracht hat.

Im Zuge eines Interviews zum Thema STW-Autos erklärt Christian Danner im Fachblatt "Motorsport aktuell" vom 3. Juni: "Rennautos mit Frontantrieb sind ein fahrphysikalischer Alptraum." Und weiter: "Ein Tourenwagen sollte mindestens 450 PS und zwingend Heckantrieb haben. Ausschauen sollte das Ding wie ein Rennauto und sich auch wie ein solches fahren." Da liegt Christian goldrichtig - genau das wollen wir.

Der ehemalige BMW- und Alfa-DTM-Pilot Christian Danner ist kein Freund des Frontantriebs und kämpft deshalb vehement mit dem Untergrund-Team für das neue Konzept, Foto: Hallo Fahrerlager Classic
Der ehemalige BMW- und Alfa-DTM-Pilot Christian Danner ist kein Freund des Frontantriebs und kämpft deshalb vehement mit dem Untergrund-Team für das neue Konzept, Foto: Hallo Fahrerlager Classic

Langsam beginnt in Fragmenten durch die Gegend zu schwirren, woran wir arbeiten. Erste Befürworter geben sich vorsichtig zu erkennen, natürlich auch Kritiker. Das reicht von Hilfsangeboten und Sympathiekundgebungen einerseits bis hin zu übelsten Beschimpfungen und Beleidigungen andererseits. Die einen, wie beispielsweise Journalisten-Kollegen oder Opel-Ingenieure, wollen uns gerne auf dem eingeschlagenen Weg begleiten. Andere, die ihre heile Welt in Gefahr sehen, wünschen uns die Pest an den Hals. Wir sind erstaunt, wie schnell unsere Mission die Runde macht.

Juli 1998

Es gibt einen neuen Termin für das ausgefallene Audi-Gespräch. Am Norisring-STW-Wochenende sind wir freitags um 11.00 Uhr mit Dr. Ullrich im Hotel Holiday Inn, "Raum Grundig", verabredet. Natürlich wissen wir, dass der Audi-Mann seit der zwangsweisen Umrüstung seiner Allrad-A4 auf Frontantrieb nicht mehr glücklich ist mit der STW - darin sehen wir unsere Chance. Geduldig hört er sich unsere Pläne an.

Als wir auf die technischen Eckdaten (4 Liter V 8-Motoren, Coupés, Heckantrieb obligatorisch) zu sprechen kommen, endet das Meeting abrupt: "Meine Herren, wir können das Gespräch an dieser Stelle abbrechen. Solange ich Sportchef bei Audi bin, wird es keinen Tourenwagen mit Heckantrieb geben. Die Philosophie von Audi war und ist immer der Allradantrieb."

Enttäuscht fahren wir zurück ins Fahrerlager des Norisrings. Dort stellt Michael Bernard entsetzt fest, dass er die Mappe mit allen noch streng geheimen Unterlagen an der Rezeption des Hotels hat liegen lassen. "Wenn die Papiere in falsche Hände geraten, kann ich mich erschießen", jammert er und eilt von Panik ergriffen zurück. Erleichtert nimmt der die vom Personal sichergestellte Mappe in Empfang.

Die Besuchsplanungen bei den Automobil-Herstellern erfordern viel Geduld. So manche Verabredung muss mehrfach verschoben werden, Foto: Hallo Fahrerlager Classic
Die Besuchsplanungen bei den Automobil-Herstellern erfordern viel Geduld. So manche Verabredung muss mehrfach verschoben werden, Foto: Hallo Fahrerlager Classic

Im Verlauf des Norisring-Wochenendes sickert endgültig durch, was da läuft und wer dahinter steckt. Von Sportfunktionären und STW-Managern werden insbesondere Michael Bernard und ich böse angegangen und als "hinterfotzige Saboteure" beschimpft. Bei einer Abendveranstaltung wird Bernard plötzlich von einer Dame unsanft an den Schultern gepackt und mit den Worten durchgeschüttelt: "Sie san doch der, wo unsere schöne STW-Meisterschaft kaputt machen möcht."

Und mir wird von ADAC-Sportpräsident Tomczyk persönlich am Renntag erklärt: "Merken Sie sich eines - die STW ist und bleibt die Zukunft des deutschen Tourenwagensports, daran werden Sie und Ihre hirnverbrannten Kumpane nichts ändern. Euer Hirngespinst DTM wird es nur über meine Leiche geben." Auch Vertreter des DMSB sind nicht gerade begeistert von dem, was ihnen da so zu Ohren kommt. Jeder von uns kriegt an diesem ersten Juli-Wochenende in Nürnberg sein Fett weg. Ein bisschen flau im Magen ist uns zumindest jetzt schon - immerhin sind wir ja noch voll in die STW-Abläufe eingebunden.

Als nächsten Schritt ziehen wir WIGE TV-Chef Peter Geishecker ins Vertrauen, bevor er von unseren Plänen über andere Quellen erfährt. Der Mann ist immer ein guter Ratgeber, loyaler Partner und ehrlicher Vermittler. Seine Fürsprache ist unverzichtbar für unser Projekt. Natürlich ist der stets gut informierte TV-Produzent der alten DTM und der aktuellen STW bereits auf dem Laufenden und verspricht, zu helfen wo er kann.

Spätestens jetzt wird uns auch endgültig klar, dass das Ganze schon eine gewisse Eigendynamik bekommen hat, die nicht mehr unter Kontrolle zu halten ist. Zumal in den Tageszeitungen erste Meldungen auftauchen wie "Tourenwagen-Guerilla-Truppe plant neue DTM" oder "Noch geheim: STW soll durch eine neue DTM ersetzt werden". Als hilfreich erweist sich das nicht gerade, stattdessen gibt es viel Wirbel um die Schlagzeilen.

Mercedes-Sportchef Norbert Haug steht selbst in den kritischsten Phasen zum DTM-Projekt 2000. Hier beraten wir beim GP Japan Ende Oktober 1998 in Suzuka über die nächsten Schritte, Foto: Hallo Fahrerlager Classic
Mercedes-Sportchef Norbert Haug steht selbst in den kritischsten Phasen zum DTM-Projekt 2000. Hier beraten wir beim GP Japan Ende Oktober 1998 in Suzuka über die nächsten Schritte, Foto: Hallo Fahrerlager Classic

Prompt ruft mich Norbert Haug an und fragt empört "ob wir jetzt völlig übergeschnappt sind". Ich versichere, dass keiner von uns derartige Meldungen lanciert hat und wir auch nicht wissen, wer dafür verantwortlich ist. Der Mercedes-Sportchef ist jedenfalls ganz schön sauer, weil er und sein Haus auch noch mit der Aktion in Zusammenhang gebracht werden. Trotzdem lässt er sich weiter regelmäßig über den Fortgang unserer Bemühungen informieren. Oft ruft er sogar persönlich bei mir oder Michael Bernard an und erfragt den Stand der Dinge. Wir haben den Eindruck, dass es bei Mercedes ein wirklich ernsthaftes Interesse an einer DTM-Wiederauferstehung gibt. Somit sitzt unser wichtigster Verbündeter weiterhin in Stuttgart.

August 1998

Gute Nachrichten aus Rüsselsheim heben unsere Stimmungslage deutlich an. Opel, so vernehmen wir mit großer Freude, soll sich bereits intensiv mit unserem Projekt beschäftigen und an einer DTM-Studie arbeiten. Kollege Bernard hat dort natürlich den Boden bestens bereitet und Opel-Sportchef Volker Strycek sowie Chef-Techniker Donatus Wichelhaus auf unsere Aktion eingeschworen. Beide machen sich ernsthaft Gedanken, in welcher Form und mit welchem Auto sich das Werk als letzter Titelgewinner wieder an einer neuen DTM beteiligen könnte. Als Favorit gilt das Astra Coupé.

September 1998

Wie die neuen DTM-Autos von Mercedes und Opel aussehen könnten, lässt Michael Bernard einfach mal von einem Freund skizzieren. Dabei legt er jeweils eine Coupé-Version des CLK und des Astra zu Grunde. Die Zeichnungen sind ausschließlich für unsere kommenden Gespräche bestimmt, eine Weitergabe etwa an Pressevertreter würde das ganze Projekt gefährden. Tatsächlich gelingt es, die Zeichnungen im engsten Zirkel unter der Decke zu halten.

Foto: Hallo Fahrerlager Classic
Foto: Hallo Fahrerlager Classic
So könnten die neuen DTM-Autos von Opel und Mercedes in etwa aussehen. Details zu den Zeichnungen liefert der nimmermüde Michael Bernard, Foto: Hallo Fahrerlager Classic
So könnten die neuen DTM-Autos von Opel und Mercedes in etwa aussehen. Details zu den Zeichnungen liefert der nimmermüde Michael Bernard, Foto: Hallo Fahrerlager Classic

Wir bekommen immer mehr Zulauf von Leuten, die uns unterstützen und mithelfen wollen, eine neue DTM zu realisieren. Überall herrscht eine Art Aufbruchsstimmung - das macht uns Mut und spornt trotz einiger Rückschläge an, nicht nachzulassen. Leider haben uns zwischenzeitlich außer Audi auch Toyota und Volvo nicht viel Hoffnung auf ein Engagement gemacht. Bei Ford will man noch nachdenken. Auch der Plan, RTL als Partner zu gewinnen, kommt eher nicht zum Tragen, weil unser Kontaktmann Michael Lion zu seinem alten Sender SAT 1 zurückkehrt und dort als Fußball-Koordinator erst mal andere Baustellen hat.

Über Rainer Braun

Rainer Braun gehört seit vielen Jahrzehnten zum Kreis der qualifiziertesten Motorsport-Fachleute in Deutschland. Der 79-Jährige blickt selbst auf eine Karriere als Rennfahrer zurück, war in den 90er-Jahren die Stimme der DTM und begleitete den Motorsport bei über 1.000 Rennen als Streckensprecher, Autor und Fernseh-Kommentator. Brauns Buchserie mit dem Titel "Hallo Fahrerlager" zählt schon heute zu den Klassikern der deutschen Motorsport-Literatur.