Wenn man in der Welt des Motorsports höflich, aber mit Nachdruck darum gebeten wird, sein Handy doch bitte in der Hosentasche zu lassen, dann ist klar: Jetzt gibt's was wirklich Spannendes zu sehen. Dabei hätte es des Hinweises eigentlich gar nicht bedurft. Die Entwicklungshallen von Audi Sport im beschaulichen Neuburg an der Donau sind gepflastert mit Hinweisen: Fotografieren verboten!

Und das aus gutem Grund. Motorsport-Magazin.com durfte einen exklusiven Blick hinter die Kulissen der neuen DTM-Ära werfen, die in diesem Jahr mit Zischen und Pfeifen eingeläutet wird. Ein kleiner Turbo-Motor hier, ein überdimensionaler Prüfstand dort - klar, derartige Geheimnisse am Audi-Standort darf die direkte Konkurrenz auf keinen Fall zu sehen bekommen.

DTM 2019: Audis neuer Turbo-Motor in Action: (05:10 Min.)

Unser Besuch im 2014 eröffneten Kompetenz-Center Motorsport wenige Wochen vor dem Auftakt in die neue Saison schafft ein gutes Verständnis dafür, was wirklich in solch einem DTM-Programm steckt. Wir gehen vorbei an Karosserien, die von Mechanikern zusammengeschraubt werden, sehen die 85 Kilogramm leichten Turbo-Rumpfmotoren, die erstmals in den DTM-Rennwagen ihr Werk vollrichten werden, und dann natürlich noch das Prunkstück: den Motoren-Prüfstand.

Hinter einer Plexiglasscheibe erleben wir, wie die Mitarbeiter - zur Sicherheit des teuren Ingenieurs-Wunderwerks sind es immer zwei - fünf Runden auf dem Hockenheimring simulieren, wo Anfang Mai die ersten Meisterschaftspunkte vergeben worden sind. Und hören das Brüllen des Motors, das Pfeifen des Turbos. Und fahren im Gedächtnis parallel zum Motoren-Sound die badische Traditionsstrecke ab.

DTM-Motor besteht aus 20.000 Teilen

Absolut spektakulär: die im Motorraum nach oben ragenden Krümmer des Triebwerks, die unter Volllast rot glühen und dem Prüfstandsraum dadurch eine spezielle Atmosphäre verleihen. Ein optisches Highlight unter den rund 2.000 Bauteilen, aus denen der DTM-Motor der Neuzeit besteht - und damit nach genau 20 Jahren das robuste, aber in allen Belangen angestaubte V8-Aggregat ersetzt.

Die technische Entwicklung zeigt sich schon beim Gewicht: Der V8-Motor war mit 148 Kilogramm fast doppelt so schwer wie sein empfindlicher Nachfolger.

Die Ingenieure der drei Hersteller in der DTM haben einmal mehr ihr Möglichstes getan, um so viel Leistung wie möglich aus den neuen Motoren herauszukitzeln. Der Turbo-Motor leistet laut Audi-Angaben mehr als 610 PS - ein ordentlicher Output für den Reihen-Vierzylinder-Ottomotor mit Benzindirekteinspritzung und zwei Litern Hubraum. Aus technischer Sicht wäre sicherlich eine weitaus höhere Leistungsabgabe möglich - vor allem bei einem aufgeladenen Motor. Die DTM-Turbos sind allerdings reglementiert und auf rund 6.000 Kilometer ausgelegt. Jedes Team konnte in der Saison 2019 bei den insgesamt 20 Veranstaltungen drei Motoren (1,5 pro Fahrzeug) einsetzen. Diese Limitierung im Reglement ist aus Kostengründen vorgenommen worden.

Die Leistung der Turbos ist durch eine reglementbedingte Durchflussbegrenzung des Kraftstoffs (Superplus mit 102 Oktan wie an der Tankstelle) auf 95 kg/h limitiert. Der V8-Vorgänger hatte seinerseits eine Luftmengenbegrenzung.

Der DTM-Motor von Audi auf dem Prüfstand, Foto: Audi Communications Motorsport
Der DTM-Motor von Audi auf dem Prüfstand, Foto: Audi Communications Motorsport

Diese Durchfluss- bzw. Kraftstoffbegrenzung verhält sich vom Prinzip hier wie eine Ladedruckbegrenzung: Der Motor erzeugt Reibleistung, die linear mit der Drehzahl (auf 9.500 Umdrehungen begrenzt) ansteigt. Je höher der Motor dreht, desto mehr Radleistung wird erzeugt. Wenn dann aber nicht noch weiterer Kraftstoff eingespritzt wird, verliert der Motor mit steigenden Drehzahlen sogar an Leistung.

Push-to-Pass-Einführung stellte Ingenieure vor Herausforderung

Beim Einsatz des 2019 eingeführten Push-To-Pass-Systems werden über einen Bypass des Fuel Flow Restrictors für eine Dauer von fünf Sekunden zusätzliche 5 kg/h Kraftstoff bereitgestellt, was eine Leistungserhöhung von etwa 30 PS zur Folge hat.

Die Integration des Push-To-Pass-Systems stellte eine große Herausforderung für die Ingenieure dar, weil der Motor auf eine Leistung von 600 PS berechnet worden war. Der Zusatz-Boost wurde vergleichsweise spät ins Reglement aufgenommen. Bei Audi spricht man von einer extremen Zusatzbelastung für den Motor.

Um die Leistung auf die Rennstrecke bringen zu können, kommt spezielle Technik zum Einsatz. Stichwort: Turboloch. Ein Problem, mit dem sich sämtliche Autobauer seit vielen Jahren konfrontiert sehen. Der mit maximal 3,5 bar absolutem Druck arbeitende Turbolader sitzt auf der rechten Fahrzeugseite und verfügt über ein spezielles Anti-Lag-System (ALS), um das Turboloch zu beseitigen.

"In der Schubphase, also wenn der Fahrer zum Beispiel auf eine Kurve zufährt und bremst, wird der Turbolader künstlich auf Drehzahl gehalten", erklärt Ulrich Baretzky, Leiter Entwicklung Motor bei Audi Motorsport. "Wenn der Fahrer nach der Kurve wieder aufs Gas geht, hat er sofort Ladedruck."

Die Kraftübertragung erfolgt mittels Heckantrieb über eine Einheits-Kardanwelle, die alle drei Hersteller zusätzlich zum erlaubten Testfahrten-Kontingent testen konnten. Und das nicht ohne Grund, denn: Es kam zu Schwierigkeiten mit dem Einheitsbauteil, da die Kardanwelle starken Schwingungen ausgesetzt ist, was für eine enorme Belastung sorgt.

Turbo-Einführung wurde in der DTM lange aufgeschoben

Wie aufwendig die Integration des neuen Turbo-Motors in das DTM-Fahrzeug für 2019 war, erklärt Stefan Dreyer, Leiter Antriebsstrang bei Audi Motorsport: "Der V8-Motor hatte zunächst einmal ein größeres Volumen. Er war symmetrisch aufgebaut mit zwei Zylinderbänken und zwei Abgassträngen. Der neue Turbomotor hat vier Zylinder in Reihe, rechts die Abgasanlage und der Turbolader, links die Ansaugung. Der gesamte Vorderwagen musste auf dieses Motorenkonzept angepasst werden, zum Beispiel die Positionierung des Ladeluftkühlers, die Wasser- und die Ölkühlung, die Rohre, aber auch die optimale Führung der Luft zum Motor."

Ulrich Baretzky ist Leiter Entwicklung Motor bei Audi Motorsport, Foto: Audi Communications Motorsport
Ulrich Baretzky ist Leiter Entwicklung Motor bei Audi Motorsport, Foto: Audi Communications Motorsport

Die Entwicklung und vor allem Einführung der Turbo-Motoren in der DTM geschah mit großem Anlauf. Die ersten Überlegungen und ein Grundkonzept des so genannten Global Race Engine gab es schon im Jahr 2008. Als sich einige Jahre später DTM und Super GT weiter annäherten und das Class-1-Reglement ausgearbeitet wurde, nahm die Arbeit ihren Lauf.

Im Dezember 2015 lief ein Turbo-Motor bereits auf dem Audi-Prüfstand. Doch 2016 kam es zur kollektiven Zwangspause, da Mercedes erfolgreich eine Verschiebung der Turbo-Einführung erst zur DTM-Saison 2019 erwirkt hatte - um dann zum Ende des vergangenen Jahres auszusteigen...

Etwa zweieinhalb Jahre Entwicklungszeit des Turbo-Motors standen bei Audi vor der Einführung zu Buche. Rund 1.000 Stunden hat das Aggregat seitdem auf dem Prüfstand seine theoretischen Runden gedreht. Bald ist erst einmal Schluss mit der Theorie, dann geht es endlich auf die Rennstrecke. Blitzlichtgewitter inklusive.

Audi RS 5 DTM 2019 - Technische Daten

Motor
MotorReihen-Vierzylinder-Ottomotor mit Benzindirekteinspritzung (TFSI), Vierventil-Technik, zwei oben liegende Nockenwellen, Abgasturboaufladung mit Ladeluftkühlung begrenzt auf 3,5 bar absolut
MotormanagementBosch MS 7.4
Kraftstoffsystem Zentrale Hochdruck-Einspritzung, Raildruck 350 bar, reglementbedingte Kraftstoffdurchflussbegrenzung auf 95 kg/h (Push-to-Pass: 100 kg/h)
Hubraum 2.000 ccm
Leistung Über 610 PS (450 kW); Ca. 30 PS Mehrleistung durch Push-to-Pass
Drehmoment Über 650 Nm
Motorgewicht 85 kg
Saisonlaufzeit Ca. 6.000 km
Kraftübertragung Heckantrieb über Kardanwelle (Transaxle)
Kupplung 4-Scheiben-CFK-Kupplung
Getriebe Semi-automatisches 6-Gang-Getriebe mit Paddle-Shift
Differenzial Einstellbares Lamellen-Sperrdifferenzial
Antriebswellen Tripoden-Gelenkwellen
0-100 km/h Ca. 2,8 Sekunden
HöchstgeschwindigkeitCa. 300 km/h

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