Rene Rast kann nur mit der nötigen Vorbereitung Wunderdinge in der DTM vollbringen? Von wegen! Auf leisen Socken jagt der zweifache Champion nach weiteren Meilensteinen.

Da stand er nun auf dem nasskalten Podium, ohne seine Schuhe, dafür mit dem nächsten Siegerpokal in den Armen. Rene Rast hatte beim DTM-Saisonfinale auf dem Hockenheimring noch einmal alles gegeben. Und das wortwörtlich. Nach dem Sieg im Samstagsrennen warf der Audi-Superstar und schon vorzeitig feststehende DTM-Champion alles in die Zuschauermenge, was er so an sich trug.

Selbst die Schuhe mussten dran glauben. Jene Schlappen, mit denen Rast kurz zuvor seinen siebten Saisonsieg auf der badischen Traditionsstrecke über den Zielstrich bugsiert hatte. Mit beiden Füßen auf dem Gaspedal natürlich, wie es sich für Rast gehört.

DTM-Champion 2019 Rene Rast im Exklusiv-Interview: (09:51 Min.)

Während sich der glückliche Schuh-Fänger auf der Tribüne über die unerwartete Beute freute, war zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon abzusehen, dass Rast nicht auch noch das am darauffolgenden Sonntag abschließende Saisonrennen im Motodrom gewinnen würde.

Rast hatte ein Meister-Ritual

Zumindest nicht, wenn es nach Rasts kleiner Macke geht, die er die komplette Meister-Saison durchgezogen hat: Nach einem Sieg im Samstagsrennen startete er im zweiten Lauf eines Wochenendes stets mit dem selben Rennoverall, den selben Handschuhen und natürlich auch den selben Schuhen. Rennfahrer sind per se abergläubisch, das geht auch am ansonsten so analytischen Rast nicht spurlos vorbei.

Den Verlust seiner Treter wird der 33-Jährige verschmerzen können. Drei seiner sieben Saisonsiege errang er an einem Samstag, der Spind war also auch in Hockenheim noch immer prall gefüllt mit Rennfahrerkleidung.

Als zusätzliches Trostpflaster und vor allem zur Belohnung für den zweiten Titelgewinn nach 2017 erhielt Rast im Anschluss an seinen Hockenheim-Sieg die Schlüssel für einen nagelneuen Audi, der es sich nun in der heimischen Garage in Bregenz am Bodensee gemütlich machen kann.

Rast, der DTM-Ausnahmekönner auf leisen Socken. Wäre es nach seiner bisherigen Herangehensweise gegangen, hätte er beim Hockenheim-Finale eigentlich gar nicht den siebten Sieg, die achte Pole Position und die Podestplätze zwölf und dreizehn einheimsen dürfen.

Rast reiste unvorbereitet nach Hockenheim

Schließlich war seine Vorbereitung auf die letzten beiden Rennen in der neuen Turbo-Ära so gar nicht nach seinem Geschmack verlaufen. Erst am späten Donnerstagabend war er an der Rennstrecke angekommen, nach einem mehrstündigen Rückflug aus Sankt Petersburg, wo er am Vortag mit einigen DTM-Kollegen die neue Strecke namens Igora Drive für den Rennkalender 2020 vorgestellt hatte.

"Ich habe mich überhaupt nicht aufs Wochenende vorbereitet", gestand der gebürtige Mindener am späten Samstagabend im Fahrerlager. Eigentlich ein absolutes Unding in der Ära Rast. Er, der die Rennwochenenden sonst akribisch wie kaum ein anderer analysiert, um sich den kleinen, in der DTM aber feinen Vorteil zu verschaffen. Da schaut er sich auch gern fünfmal am Stück die Video-Analyse an, um den perfekten Einlenkwinkel für die Zufahrt auf den Boxenplatz seines Audi Sport Team Rosberg zu finden.

Der Audi RS 5 DTM war Rasts diesjähriges Arbeitsgerät, Foto: LAT Images
Der Audi RS 5 DTM war Rasts diesjähriges Arbeitsgerät, Foto: LAT Images

Womöglich ist Rast mit etwas Anlauf doch noch das unheimliche Ausnahmetalent, als das er sich selbst niemals bezeichnen würde. Er, der durch zahlreiche DTM-Sichtungslehrgänge gerasselt war, weil er nicht vom Fleck weg und ohne größere Vorbereitung schnell genug sein konnte. Der nach einem Porsche-Test vor vielen Jahren als 'nicht nervenstark genug' beurteilt wurde.

Davon war auch in Hockenheim längst nichts mehr zu spüren. Mit der stoischen Ruhe eines Champions setzte Rast im regnerischen Sonntagsrennen seiner Saison die Krone auf und schnappte sich den nächsten Podestplatz. Als er mit dem in diesem Jahr überragenden Audi RS 5 DTM innerhalb von zwei Kurven vom achten bis auf den zweiten Platz nach vorne gestürmt war, musste auch dem Letzten klar gewesen sein: Dieser Rast, der Spätstarter im Motorsport, ist noch lange nicht satt.

DTM-Boss Berger lobt Rast

"Der Einzige in der DTM, der außergewöhnlich ist und heraussticht, ist Rene Rast", sagt DTM-Boss Gerhard Berger. "Wenn er jünger wäre, würde ich ihn in der Formel 1 sehen. Wie er arbeitet, wie er Rennen kontrolliert, seine starke Mentalität, er macht nur ganz selten Fehler, ein starkes Paket." Und das von einem, der Senna als Teamkollegen hatte. Mehr Lob geht nicht.

Doch 'Hätte, hätte, Fahrradkette', wie man in der Formel 1 so gerne sagt. Für Rast, den erfolgreichsten Tourenwagen- und GT-Fahrer dieses Jahrzehntes, dürfte der Zug in die Königsklasse des Formelsports abgefahren sein. Selbst sein großer Wunsch, eine Testfahrt in einem Formel-1-Boliden zu absolvieren, ist bislang noch nicht in Erfüllung gegangen.

Doch wer hätte schon ahnen können, dass Motorsport-Experten Rast anno 2019 die Formel-1-Tauglichkeit bescheinigen und Medien ihn in die F1 schreiben? Ihm, der sein letztes Rennen mit einem Verbrenner-Formelwagen 2004 in der damaligen Formel BMW ADAC bestritt und beim Finale in Hockenheim mitansehen musste, wie ein gewisser Sebastian Vettel den Meisterpokal in die Höhe reckte.

Rast trat in der Formel BMW ADAC unter anderem gegen Sebastian Vettel an, Foto: LAT Images
Rast trat in der Formel BMW ADAC unter anderem gegen Sebastian Vettel an, Foto: LAT Images

Während der heute vierfache Weltmeister den geraden Weg in Richtung Formel 1 einschlug, musste sich Rast mangels Budget zunächst im VW Polo Cup herumschlagen, bevor er in den Porsche-Markenpokalen eine bezahlbare Heimat fand und die Carrera- und Supercups über Jahre revolutionierte und dominierte.

Über Markenpokale in die DTM

"Davon profitiere ich heute in der DTM, denn in all den Markenpokalen stand uns nur der Reifendruck als Werkzeug zur Verfügung", sagt Rast. "Nach dem Start konnte ich dir bis aufs Zehntel sagen, wie viel Luftdruck die Gegner drin haben. Und in diesem DTM-Jahr war es der Schlüssel, zu verstehen, wie man die Hankook-Reifen rannehmen muss."

Immer mit Manager Dennis Rostek an seiner Seite, der an Rast glaubte, als es kaum jemand anderes tat. Bei dem er im Juni 2005 seinen ersten Vertrag unterschrieb, weil Rostek - selbst Rennfahrer - Onboard-Aufnahmen aus Rasts Einheits-Renn-Polo sah, die ihn überzeugten. Kein Wunder, war darauf doch zu sehen, wie sich Rast am Lausitzring nach einem frühen Dreher vom 18. bis auf den vierten Platz nach vorne kämpfte.

Rast hat im Porsche Supercup und im deutschen Porsche Carrera Cup wichtige Erfahrungen sammeln können, Foto: Porsche
Rast hat im Porsche Supercup und im deutschen Porsche Carrera Cup wichtige Erfahrungen sammeln können, Foto: Porsche

"Ich bin quasi 15 Jahre lang in Nachwuchsserien angetreten, während Max Verstappen nach einem Jahr in der F3 schon in die Formel 1 aufgestiegen ist", blickt Rast auf seinen unsteten Karriereweg zurück mit Einsätzen in schier unendlich vielen unterschiedlichen Rennwagen.

Nach all den Jahren voller Unsicherheit - noch an seinem 30. Geburtstag wusste Rast nicht, wie es im Motorsport weitergehen sollte - hat er sich in der DTM mit seinem zweiten Titelgewinn in der absoluten Spitze etabliert. Für die Formel 1 mag Rast zu alt sein, nicht aber für das Aufstellen weiterer Rekorde und Meilensteine in der Tourenwagenserie.

Rast will Rekorde aufstellen

Ein Ziel hat Rast bereits ins Visier genommen: die Sieg-Statistik der langjährigen Audi-Ikone Mattias Ekström, der er schon beim Finale 2017 ziemlich überraschend die Meisterschaft vor der Nase weggeschnappt hatte.

"Ich würde gerne Mattias Ekström bei den Siegen überholen", sagt Rast, und erklärt weiter: "Statistik interessiert dich solange nicht, wenn du nicht dicht dran bist. Aber je näher du rankommst, desto mehr interessiert sie dich. Aber natürlich ist das noch ein weiter Weg."

Rene Rast will die Rekorde von Mattias Eskträm angreifen, Foto: DTM
Rene Rast will die Rekorde von Mattias Eskträm angreifen, Foto: DTM

Weit, aber angesichts der bisherigen Leistungen nicht unerreichbar. Rast blickt auf die Top-Quote von 17 Siegen in nur 58 DTM-Rennen zurück. Im Schnitt hat er also jedes 3,4. Rennen gewonnen. Ekström schaffte in 197 Rennen zwischen 2001 und 2018 seinerseits 23 Siege. Der Fan-Liebling aus Schweden benötigte durchschnittlich 8,5 Rennen pro Sieg.

In Sachen Titelgewinnen hat Rast bereits zu Ekström aufgeschlossen. Neben den beiden ist es nur Gary Paffett, Marco Wittmann und Timo Scheider gelungen, zwei Meisterschaften in der DTM zu erringen. Darüber stehen nur noch 'Mr. DTM' Bernd Schneider mit fünf und 'König' Klaus Ludwig mit drei Meistertiteln. Eine Ambition für Rast? "Ganz so lange wollte ich dann doch nicht mehr fahren... Na gut, jetzt sind es nur noch drei Titel bis zum Bernd... Aber da denke ich gar nicht dran. Ich bin froh, Teil der DTM zu sein, das war immer mein Traum. Dass ich einmal so erfolgreich sein würde, hätte ich mir nie erträumt."

Manchmal braucht es eben auch im Motorsport ein bisschen länger, bis Träume in Erfüllung gehen.

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