Beinahe wäre Nico Müllers risikoreicher Strategie-Coup im regnerischen Samstags-Rennen der DTM in Assen aufgegangen. Nach einem Marathon-Stint fuhr der Audi-Pilot seinem zweiten Saisonsieg lange Zeit entgegen, bis er sechs Runden vor Rennende von Marco Wittmann eingeholt und auf den zweiten Platz verwiesen wurde.

Gut für Müller: Von Platz sechs gestartet, konnte er Titelrivale und Audi-Markenkollege Rene Rast dank eines Overcuts beim Boxenstopp hinter sich halten und seinen Rückstand in der Gesamtwertung um drei Punkte verringern. Rast, der das Rennen hinter Wittmann vom zweiten Platz aufgenommen hatte, musste sich mit dem dritten Rang begnügen.

Dass sich der Meister von 2017 mehr erhofft hatte, machte er in der Schlussphase des Rennens deutlich. Mit einer Handgeste beschwerte sich Rast fünf Runden vor Schluss über Vordermann Müller, der kurz nach seinem Boxenstopp in Runde 25 auf kalten Reifen die zweite Position verteidigte.

Das kostete Rast wertvolle Zeit und den möglichen vierten Saisonsieg, weil Wittmann mit seinem BMW M4 an der Spitze ausreichend Boden gutmachen konnte und die Ziellinie mit 3,137 Sekunden Vorsprung vor dem Audi-Duo überquerte.

Philipp Eng: Blick in einen Fahrer-Raum im Renntruck (10:24 Min.)

"Nico hat mich auf seiner Outlap viel Zeit gekostet, da war Marco weg. Das hat mich in dem Moment ein bisschen frustriert", erklärte Rast anschließend. Dabei versicherte er, dass er mit der Geste keine Teamorder habe provozieren wollen. Der Wink erfolgte eher aus der für Rast ärgerlichen Situation heraus.

Ausgerechnet Rast und Müller, die sich beim vorangegangenen Rennen auf dem Norisring ins Gehege gekommen waren. Müller hatte Rast leicht am Heck erwischt, den Meisterschaftsführenden gedreht und dafür eine Durchfahrtsstrafe kassiert. Im Anschluss räumte Müller eine Teilschuld ein, machte aber deutlich, dass er nicht einfach für Rast zurückstecken werde.

DTM Top-5: Meisterschaft nach 9 von 18 Rennen

PosFahrerHerstellerPunkte
1Rene RastAudi145
2Nico MüllerAudi121
3Philipp EngBMW111
4Marco WittmannBMW100
5Bruno SpenglerBMW77

In Assen wollte Müller der Handgeste seines Markenkollegen keine zu große Bedeutung beimessen: "Es war alles sehr fair. Rene hat sich entschieden früher zu stoppen, ich eben später. Seine Strategie war, später im Rennen mit besseren Reifen anzugreifen."

Rast hatte sich für eine konventionelle Boxenstopp-Strategie mit einem Reifenwechsel in Runde 15 entschieden. Pole-Setter Wittmann folgte eine Runde später, während Müller automatisch die Spitze übernahm - und auffällig schnelle Rundenzeiten mit seinen Hankook-Regenreifen erzielen konnte.

In den Runden 18 bis 24, also bis zum Boxenstopp, fuhr Müller durchweg Zeiten im mittleren 1:46er oder hohen 1:45er-Bereich. Rast schaffte mit seinen neuen Regenreifen in diesem Zeitraum nur drei Runden, die unter der 1:47er-Marke lagen. Ähnlich lief es bei Wittmann. Müller hingegen flog geradezu über den auf Motorradrennen ausgelegten Kurs und nahm der Konkurrenz bis zu 1,5 Sekunden pro Runde ab.

Müller war pfeilschnell, spielte aber ein riskantes Spiel. Mit jeder weiteren Runde ohne Pflicht-Boxenstopp riskierte der 27-Jährige, dass sein Rennen durch eine Safety-Car-Phase komplett zerstört wird. "Das kann bei den Bedingungen leicht passieren", stellte er fest, und sagte weiter: "Vielleicht hätten wir sogar noch ein paar Runden länger draußen bleiben können."

Als Müller in Runde 25 die Abt-Box für seinen Reifenwechsel ansteuerte, hatte er fast 43 Sekunden Vorsprung auf Wittmann und den dahinter folgenden Rast. Müller behielt die Führung nach der Ausfahrt aus der Boxengasse, während Wittmann mit etwa drei Sekunden Rückstand heranrauschte.

Für die kritische Outlap in Runde 26 - seit dieser Saison dürfen auch Regenreifen nicht mehr vorgewärmt werden - brauchte Müller 2:22.106 Minuten. "Ich war etwas überrascht, wie lange es gedauert hat, bis die neuen Regenreifen auf Temperatur waren", sagte Müller hinterher. "Ich hatte gehofft, dass der Warmup besser wäre."

DTM in Assen: Outlap-Vergleich

FahrerRundenzeitOutlap in Runde...
Rene Rast2:20.47016
Nico Müller2:22.10626
Marco Wittmann2:22.49517

So konnte sich Müller auf seiner Outlap kaum gegen Wittmann mit dessen aufgewärmten Regenreifen wehren und verlor die Führung in Runde 26. Der Audi-Werksfahrer: "Mir war klar, dass Marco irgendwann in meinem Rückspiegel auftauchen würde. Ich hatte aber gehofft, dass das eine halbe Runde später passieren würde."

Wittmann selbst kannte den Rückstand auf Müller bei dessen Einfahrt in die Boxengasse und zeigte sich später überrascht, wie viel Boden er in dieser Zeitspanne gutmachen konnte. "Ich kam vorbei und musste dann so schnell wie möglich einen Vorsprung herausfahren."

Das funktionierte umso besser, weil Rast mit seinen warmen Reifen nicht an Müller vorbeikam - und damit der zu diesem Zeitpunkt für Wittmann gefährlichste Gegner sprichwörtlich kaltgestellt war. Wittmann und Rast - deshalb auch seine Handgeste in Richtung Müller - war klar, dass dies einen kritischen Zeitpunkt im Rennen darstellte.

Und Wittmann tat gut daran, sich in den letzten Runden aus dem Staub zu machen. Schon beim regnerischen Auftaktrennen in Hockenheim, das ebenfalls Wittmann gewann, zeigte sich, dass die Audis ihre Regenreifen schneller und effizienter ins richtige Arbeitsfenster bringen können als die BMW. Die M4-Rennwagen haben ihre Stärken mehr am Ende eines Stints. Das hätte in Assen für Wittmann aber zu spät sein können.