Ein Visionär des Motorsports wird 80 Jahre alt: Jochen Neerpasch feiert an diesem Samstag, 23. März seinen 80 Geburtstag. Erst erfolgreicher Rennfahrer, später Gründer der legendären BMW M GmbH und obendrein Wegbereiter für die unvergleichliche Karriere von Michael Schumacher: Neerpasch kann Meilensteine im Rennsport vorweisen wie kaum ein anderer.

Die große Karriere des gebürtigen Krefelders begann im Rennwagen. Von 1964 bis 1968 startete er mit Shelby Daytona Cobra, Maserati, Ford und Porsche bei den 24 Stunden von Le Mans. 1968 gelang ihm gemeinsam mit Rolf Stommelen der Klassensieg in Le Mans auf einem Porsche 908. Im selben Jahr triumphierte Neerpasch zudem bei den 24 Stunden von Daytona sowie in Sebring.

In der Folge wechselte der 'Große Schweiger', wie Neerpasch gern bezeichnet, wurde, ins operative Geschäft - der Beginn einer großen Management-Karriere. Als Rennleiter führte Neerpasch zunächst Ford zu internationalem Erfolg: 1971 gewann Ford mit Dieter Glemser am Steuer die Tourenwagen-Europameisterschaft sowie mit Jochen Mass die Deutsche Rundstrecken-Meisterschaft.

Jochen Neerpasch 1968 in Le Mans mit Teamkollege Rolf Stommelen, Foto: LAT Images
Jochen Neerpasch 1968 in Le Mans mit Teamkollege Rolf Stommelen, Foto: LAT Images

1972 sicherte sich Mass den Titel in der Europameisterschaft vor Glemser, zudem feierte der damals 21-jährige Hans-Joachim Stuck den Gesamtsieg in der Deutschen Rennsport Meisterschaft. Nach einem Ford-Dreifachsieg bei den 24 Stunden von Spa verabschiedete sich Neerpasch in Richtung München und zur frisch gegründeten und heute legendären M GmbH.

Neerpasch wurde Leiter der damals 35 Mann starken M GmbH und zeichnete 1977 verantwortlich für das erste Nachwuchsprogramm von BMW im Motorsport. Eddie Cheever, Marc Surer und Manfred Winkelhock hießen die damaligen Junioren, die die Geschichte von BMW in den kommenden Jahrzehnte prägen sollten - die Wilden Reiter, wie sie zunächst in der Tourenwagen-EM immer wieder betitelt wurden.

Neerpasch 2017 mit seinen früheren Junioren Surer und Cheever, Foto: BMW
Neerpasch 2017 mit seinen früheren Junioren Surer und Cheever, Foto: BMW

Und auch mit der Geschichte der ikonischen BMW M1 ist Neerpasch bis heute eng verbunden. Als Chef der M GmbH hob er gemeinsam mit Bernie Ecclestone und Max Mosley die ProCar Serie aus der Taufe. Sie wurde als Auftaktrennen vor den meisten europäischen Formel 1-Grand Prix der Saison 1979/80 ausgetragen. 1979 hatte Niki Lauda damit einen großen Auftritt: In acht Rennen der M1 Procar-Serie errang er drei Siege und einen zweiten Platz.

Nach seinen Erfolgen bei Ford und BMW wechselte Neerpasch 1988 als neuer Rennleiter zu Daimler-Benz und war zudem Mitglied der Geschäftsleitung der PP Sauber AG in Hinwil. In dieser Zeit war Neerpasch verantwortlich für Sauber-Mercedes in der Sportwagen-Weltmeisterschaft. 1989 gewann sein Team die 24 Stunden von Le Mans. Mit Manuel Reuter, Jochen Mass und Stanley Dickens am Steuer des Mercedes-Benz M119 5.0L Turbo V8 gewannen die Stuttgarter erstmals seit 1952 den Langstrecken-Klassiker an der Sarthe.

Reuter/Mass/Dickens 1989 beim Sieg in Le Mans, Foto: Sutton
Reuter/Mass/Dickens 1989 beim Sieg in Le Mans, Foto: Sutton

Wie schon bei BMW, kümmerte sich Neerpasch auch bei Mercedes um die Förderung von Talenten. Die damaligen Nachwuchsfahrer waren keine Geringeren als Michael Schumacher, Karl Wendlinger und Heinz-Harald Frentzen.

Dabei gilt Neerpasch als Wegbereiter für Schumachers Karriere. Von der Sportwagen-WM über die deutsche Formel 3, Auftritte in der DTM sowie einen Gaststart 1991 in der japanischen Formel 3000 - Neerpasch führte Schumi immer weiter in Richtung der Formel 1. Nur zum anvisierten F1-Werkseinstieg der Silberpfeile mit dem heute siebenfachen Rekordweltmeister kam es nicht.

Jochen Neerpasch gilt als Wegbereiter von Michael Schumacher, Foto: LAT Images
Jochen Neerpasch gilt als Wegbereiter von Michael Schumacher, Foto: LAT Images

Nach der Zeit bei Mercedes wechselte Neerpasch schließlich in die damalige STW-Serie und leitete diese ab 1995, bis sie später von der DTM abgelöst wurde.

Exklusives Neerpasch-Interview: Als Mosley mit dem Geldkoffer kam...

Lesen Sie im Folgenden ein exklusives Doppel-Interview mit Jochen Neerpasch und dem heutigen BMW Motorsport Direktor Jens Marquardt, das im November 2017 in der Print-Ausgabe des Motorsport-Magazin.com erschienen ist und nun erstmals online veröffentlicht wird.

Herr Neerpasch, Sie waren damals Vorsitzender der Geschäftsführung der M GmbH und haben 1977 das erste Nachwuchsprogramm bei BMW ins Leben gerufen. Was waren die Gründe dafür?
Jochen Neerpasch: Wir hatten damals sehr gute Senior-Fahrer wie Hans-Joachim Stuck, Ronnie Peterson und David Hobbs. Wir wollten damals unseren Fahrerkader vergrößern und das System Mensch-Maschine ausbauen. Wenn Sie mal an die Formel 1 früher zurückdenken: Da wurde nur Geld in die Autos gesteckt, die Fahrer waren völlig auf sich alleine gestellt. Der Motorsport wurde nicht einmal als Sport anerkannt, weil die Technik ja angeblich die ganze Arbeit machte. Aber das beste Auto nützt nichts, wenn nicht auch der Fahrer gut ist. Deshalb haben wir sehr früh angefangen, die menschliche Seite zu fördern.

Max Mosley und Jochen Neerpasch, Foto: LAT Images
Max Mosley und Jochen Neerpasch, Foto: LAT Images

Das Trio Cheever/Surer/Winkelhock wurde damals als 'Wilde Reiter GmbH' bezeichnet. Was steckt hinter diesem Spitznamen?
Neerpasch: Die waren ziemlich wild auf der Rennstrecke. Die Drei waren sehr talentiert und hatten eine sehr kurze Ausbildungsphase. Das waren ja junge Leute und die haben sich einen Wettbewerb mit den Weltklasse-Fahrern Stuck und Peterson geliefert. Was die Älteren an Erfahrung voraushatten, mussten die Jüngeren durch größeren Einsatz ausgleichen. Das bedeutete auch, ohne System möglichst schnell nach vorne zu kommen. Im Laufe der Zeit haben sie dann gemerkt, dass das alleine nicht reicht.

Herr Marquardt, lange Zeit wollten junge Fahrer ausschließlich Formel 1 fahren. Hat sich das in den letzten Jahren geändert?
Marquardt: Ich glaube, das hat sich grundsätzlich nicht verändert. Jeder junge Fahrer hat natürlich das Ziel, Formel 1 zu fahren. Das ist auch wichtig und richtig so, denn das ist einfach die Königsklasse. Und man sollte schon immer nach ganz oben zielen. Wenn ich Fußballer bin will ich ja auch in die Bundesliga und in die Nationalmannschaft.

Motorsport-Magazin.com im Interview mit Jens Marquardt und Jochen Neerpasch, Foto: Motorsport-Magazin.com
Motorsport-Magazin.com im Interview mit Jens Marquardt und Jochen Neerpasch, Foto: Motorsport-Magazin.com

In der Bundesliga spielen rund 500 Fußballer, in der Formel 1 gibt es 20 Cockpits...
Marquardt: Und die Formel 1 besteht heute aus wenigen Fahrern, die Geld dafür bekommen und allein wegen ihrer Leistung da sind. Danach kommen die Fahrer, die meistens Geld mitbringen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es in der Formel 1 Platz für etwa zwölf Fahrer gibt, du auf der anderen Seite weltweit aber einen Pool mit tausenden jungen Fahrern hast. Zum Glück gibt es hochkarätige Serien wie die DTM, GT3-Serien oder die WEC, wo erstklassige Rennfahrer ihren Lebensunterhalt verdienen können, obwohl ihnen das Sponsoren-Backing für die Formel 1 fehlt.

Neerpasch: Dazu möchte ich ergänzen, dass es auch Fahrer gibt, die ein Dach über dem Kopf haben wollen. Ich war so einer. Ich bin ja auch Formel 3 gefahren, habe mich in Formel-Autos aber nie wohl gefühlt. Erst, als ich ein Dach über dem Kopf hatte, wurde ich gut. Und es gibt auch Fahrer, die gern Langstrecken-Rennen fahren. Es muss nicht immer nur die Formel 1 sein. Die 24 Stunden von Le Mans zu gewinnen, ist auch ein unglaubliches Ziel.

Herzlichen Glückwunsch zum 80. Geburtstag, Jochen Neerpasch!, Foto: BMW
Herzlichen Glückwunsch zum 80. Geburtstag, Jochen Neerpasch!, Foto: BMW

War es früher oder ist es heutzutage schwieriger, einen talentierten Nachwuchsfahrer zu finden?
Neerpasch: Wir hatten früher schon ein relativ breit aufgestelltes Kundenprogramm und sind halt zu den Rennstrecken hingereist. Das war recht überschaubar. Heute ist es schwieriger, aus der riesigen Auswahl den Richtigen herauszufinden. Früher war einfach die Auswahl nicht so groß.

Marquardt: Ich würde sagen, dass es heute einfacher ist. Ja, es gibt mehr Serien als früher. Aber durch die Medien und das Internet hast du heute so viele Möglichkeiten, Fahrer herauszufiltern und viel über ihre bisherige Laufbahn herauszufinden. Ohne die Fahrer kennen zu müssen, kannst du eine Shortlist von rund 15 Fahrern aufstellen, die du dir dann genauer anschaust. Früher bestand die Herausforderung eher darin, in den wenigen Serien ein Juwel aufzuspüren, den vielleicht noch nicht jeder auf dem Schirm hat.

Heutzutage schauen Hersteller und Teams schon in den Kart-Serien nach Talenten...
Marquardt: Abseits von einigen unserer Junioren ist doch eines der besten Beispiele Lewis Hamilton. Ich kannte Lewis schon, als ich damals noch bei Mercedes gearbeitet habe. Da wurde Lewis schon von Ron Dennis und McLaren im Kart gefördert. Und wenn man sieht, wie der über die Zeit aufgebaut wurde, wie er sich verändert hat und was für ein Charakter er heute ist - das ist außergewöhnlich. Und noch etwas...

Ja, bitte?
Marquardt: Beispiele wie Hamilton sprechen auch dagegen, dass es gerne heißt, junge Fahrer würden durch den frühen Einstieg bei einem Hersteller so geformt, dass sie nur noch Puppen und Marionetten sind. Lewis hat gezeigt, dass das nicht der Fall sein muss und die sportliche Leistungsfähigkeit nicht darunter leidet. Für mich ist er einer der besten - wenn nicht sogar der beste - Formel 1 Fahrer. Das ist immer schwierig zu sagen, weil man Hamilton, Alonso, Vettel, vielleicht auch Verstappen, nie im gleichen Auto sieht. Das wäre extrem interessant, um wirklich zu sehen, wer der Beste ist. Und bei uns in der DTM zeigt doch Timo Glock, was einen starken Charakter ausmacht - er ist immer wieder gerne auch einmal unbequem, eckt an und polarisiert. Und gleichzeitig ist er der erfolgreichste ehemalige Formel-1-Fahrer in der DTM. Das lag uns bei BMW im Motorsport übrigens immer schon am Herzen: wir lassen unseren Fahrern den Raum, ihre Persönlichkeit zu entfalten. Da muss man sich nur die Liste der ehemaligen Junioren anschauen, da sieht man viele erfolgreiche Fahrer, die gleichzeitig aus starke Charaktere sind beziehungsweise waren.

In Le Mans startete Neerpasch mehrfach mit dem Ford GT40, Foto: LAT Images
In Le Mans startete Neerpasch mehrfach mit dem Ford GT40, Foto: LAT Images

Damals gab es das sogar mit der BMW M1 Procar Series. Herr Neerpasch, Sie waren der Antreiber dieser Serie, in der Formel-1-Fahrer während der GP-Wochenenden in den baugleichen Autos gegeneinander antraten. Wie kam es zu diesem Projekt?
Neerpasch: Wir hatten Produktionsschwierigkeiten mit dem BMW M1. Der sollte ursprünglich bei Lamborghini gebaut werden, wo er mit unseren Leuten auch entwickelt worden war. Als die Produktion beginnen sollte, war Lamborghini zahlungsunfähig. Deshalb mussten die wir Produktion kurzfristig umlagern, was sehr schwierig und kompliziert war. Wir hätten innerhalb eines Jahres 400 Autos bauen wollen, sie homologiert und wären dann damit in den Motorsport gegangen. Nun dauerte es aber zwei Jahre, bis das erste Auto Rennen hätte fahren können. Deshalb haben wir die Procar Series dazwischengeschoben. Wir hatten uns diese Idee mit Max Mosley in der Diskothek 'Why Not' in München überlegt und fanden sie am nächsten Morgen immer noch gut... Max ging dann zu Bernie und der fand unseren Vorschlag sehr gut. Dadurch ist es ihm nämlich gelungen, die Zuschauerzahlen an den Samstagen während eines Grand-Prix-Wochenendes zu verdoppeln.

Marquardt: Das fand ich damals auch eine super Geschichte. Ich glaube, es wäre heute gar nicht mehr möglich, dass du Fahrer aus allen Teams wirklich in so einen Marken-Cup reinbekommst. Selbst, wenn diese Marke gar nicht in der Formel 1 involviert ist, würden das all die Verträge wahrscheinlich gar nicht mehr zulassen.

Zusammen mit Mosley und Ecclestone die BMW M1 Procar Series gegründet, Foto: LAT Images
Zusammen mit Mosley und Ecclestone die BMW M1 Procar Series gegründet, Foto: LAT Images

Wie funktionierte das früher?
Neerpasch: Das Schöne war, dass die Formel-1-Fahrer damals Spaß bei den Rennen im BMW M1 hatten. Die haben drauf geachtet, dass sie im Freitags-Training weit vorne standen, damit sie am Samstag das M1-Rennen fahren konnten (Die fünf Trainingsschnellsten waren damals automatisch für das Procar-Rennen qualifiziert;d.Red). Es war aber schwierig, sie da rein zu bringen. Das erste Rennen war damals in Zolder. Ich weiß noch, dass Mario Andretti sagte, dass er niemals fahren werde. Da hat Max Mosley ihm einen Koffer mit Geld hingestellt - Andretti ist ins Auto eingestiegen und die anderen taten es ihm gleich.

BMW engagiert sich nicht mehr in der Formel 1. Welche Argumente führen Sie heute an, um Top-Talente von sich zu überzeugen?
Marquardt: Wir betreiben seit 40 Jahren Nachwuchssport und sind jetzt breiter aufgestellt als je zuvor. Das Programm reicht von Formel E über WEC, IWSC, DTM und GT-Sport in allen Bereichen. Also Sicherheit und Unterstützung von einem Hersteller, der in den besten GT- und Tourenwagen Serien der Welt sowie der Formel E aktiv ist. Ich glaube, das zieht auch heute noch sehr gut. Das sieht man schön an Marco Wittmann, unserem zweifachen DTM-Champion. Er hatte nicht das nötige Sponsoren-Geld im Gepäck, um sich in der Formel 1 zu beweisen. Von der Fahrer-Qualität her hätte er es in meinen Augen sicherlich geschafft.