Es ist das Riesen-Thema beim DTM-Rennwochenende auf dem Nürburgring: Wie groß sind die Auswirkungen der neuen Reifen-Vorgaben? Können Sie die Meisterschaft gar auf den Kopf stellen? Einer der es wissen sollte, ist Hankook DTM Renningenieur Thomas Baltes. Seine kurze, aber eindeutige Antwort am Freitagabend auf genau diese Frage: "Ja."

Motorsport-Magazin.com hatte am späten Donnerstagabend exklusiv berichtet, dass seit dem letzten Rennen in Misano erstmals Mindest-Kaltluftdrücke für die Reifen vorgegeben werden. Diese Neuerung gilt für alle restlichen Rennen in dieser Saison, einschließlich des Wochenendes in der Eifel.

Hankook gibt für die beiden Rennen auf dem Nürburgring einen Mindest-Kaltluftdruck von 1,3 bar an. Eine Zahl, die stark von Werten abweicht, die die Hersteller vorher genutzt hatten. Laut Informationen von Motorsport-Magazin.com sollen einige Teams in den letzten Rennen vor Misano Luftdrücke von nur 0,7 bar in den Reifen ihrer Fahrzeuge gefahren sein - ein himmelweiter Unterschied zu den Empfehlungen von Hankook bis einschließlich Brands Hatch (in der Regel 1,1 bar).

Pflicht statt Empfehlung

In Misano (1,2 bar) und jetzt am Nürburgring (1,3 bar) waren und sind die Hankook-Angaben keine Empfehlung mehr, sie sind nun aus Sicherheitsgründen Pflicht! Will heißen: Wer jetzt dagegen verstößt, riskiert eine Disqualifikation!

Reifenwechsel nach der ersten Runde wird es ab sofort wohl nicht mehr geben. Laut Hankook kann kein Fahrer unter den neuen Vorgaben eine komplette Renndistanz auf einem Reifensatz absolvieren. Vermutlich werden es Teams trotzdem in den ersten Runden versuchen - um sich wieder an die Limits heranzutasten.

Boxenstopp-Übersicht Saison 2018

Boxenstopps in ersten 3 Runden
Mercedes (8)
Mortara3
Juncadella3
Wehrlein1
Di Resta1
BMW (14)
Glock4
Eriksson3
Wittmann2
Eng2
Spengler2
Farfus1
Audi (17)
Green 4
Müller4
Duval3
Rast3
Rockenfeller2
Frijns1

Mercedes: Hätten drauf verzichten können

Vor allem das bislang dominante Mercedes-Team HWA könnte von der Reifen-Änderung stark betroffen sein. "Aus sportlicher Perspektive hätte ich gut darauf verzichten können", sagt Mercedes-DTM-Teamchef Uli Fritz zu Motorsport-Magazin.com. "Wir hätten es nicht gebraucht, weil wir bisher keine Reifenschäden hatten. Andererseits: Im Vordergrund steht natürlich das Sicherheitsthema."

Die radikale Änderung hatten Reifenschäden in Zandvoort und Brands Hatch ausgelöst - einige Teams hatten schlichtweg die Grenzen überschritten. "Unsere Empfehlungen wurden - dezent gesagt - übersehen", bestätigt Hankook-Ingenieur Baltes. "Und das hat sich leider gesteigert. Jeder versucht, ans Limit zu gehen, teilweise drüber. Deshalb mussten wir reagieren."

Teams tappen im Dunkeln

Brisant: Hankook gab den Mindest-Kaltluftdruck von 1,3 bar erst an diesem Donnerstag an die Teams raus. So hatten die Ingenieure und Rennstrategen praktisch kaum Zeit, unterschiedliche Szenarien zu simulieren und sich damit optimal aufs Rennwochenende vorzubereiten.

Das Samstags-Rennen könnte zur großen Lotterie werden: Am Freitagnachmittag im 1. Training war die Strecke nach einem Regenguss zu Beginn noch feucht. Eine Viertelstunde vor Sessionende war Timo Glock der erste Fahrer, der sich mit Slick-Reifen auf die Strecke traute. Eigentlich waren die Bedingungen für den Wechsel auf Trockenreifen noch zu schlecht, doch wegen der neuen Reifen-Regelung brauchen die Teams unbedingt Daten aus Long Runs.

Foto: Audi Sport
Foto: Audi Sport

Hankook: Solche Tage tun weh

"Tage wie heute tun weh", macht Baltes keinen Hehl aus den Herausforderungen für Fahrer und Teams, die nun erst einmal im Dunkeln tappen und möglichst schnell ein passendes Setup finden müssen.

Audi-Pilot Mike Rockenfeller zu Motorsport-Magazin.com: "Das gab es so bisher nicht und ist deshalb ohne Frage eine neue Herausforderung. Wir müssen zunächst Erfahrungen sammeln. Es wird interessant zu beobachten sein, welche Auswirkungen diese Regelung auf Setup, Rennstrategie und Performance hat. Die Frage ist jetzt, wie extrem kann man die Strategie noch spielen."

Rundenzeiten steigen an

Die Teams können sich schon jetzt darauf einstellen, dass die Rundenzeiten bei trockenen Bedingungen ansteigen werden, denn: Höherer Reifendruck bedeutet weniger Performance. "Das ist ein künstlicher Eingriff in die Performance", bestätigt Baltes. "Im Moment tut das den Herstellern weh, aber es gibt damit verbunden auch neue Möglichkeiten."

Wer diese am schnellsten erkundet, kann sich für den Rest der Saison einen großen Vorteil verschaffen! Reicht das aus, um die Meisterschaft im Endspurt tatsächlich noch einmal auf den Kopf zu stellen? "Am Samstagabend nach dem ersten Rennen sind wir sicher schlauer", sagt Rockenfeller und stimmt damit in das große Rätselraten am Ring ein.