Manuel, Audis DTM-Leiter Dieter Gass sprach nach dem Sonntagsrennen am Nürburgring von einer großen Enttäuschung mit Blick auf die Mercedes-Teamorder. Kannst du das nachvollziehen?
Manuel Reuter: Aus Sicht von Dieter Gass kann ich das voll nachvollziehen. Das Wochenende war eine große Enttäuschung für Audi, was den Kampf um die Meisterschaft betrifft. Es waren schlichtweg diesmal die falschen Audis vorne. Bei Mattias Ekström ist alles schief gelaufen und Edoardo Mortara ist am Sonntag ausgeschieden. Wenn jetzt alles normal läuft, wird Pascal Wehrlein Meister.

Könnte es eine kleine Retourkutsche von Gass gewesen sein infolge der harschen, öffentlichen Kritik von Mercedes nach der 'Schieb ihn raus'-Affäre vom Red Bull Ring?
Manuel Reuter: Nein, das glaube ich nicht. Der Satz ist eben im Rennen gefallen, da muss man nichts schönreden. Ich denke, dass Dieter Gass einfach sehr enttäuscht war. Audi hatte über die Saison hinweg das schnellste Auto. Wenn sie am Ende komplett ohne Titel dastehen, wäre das schon eine riesige Enttäuschung.

Pascal Wehrlein auf bestem Wege zum Titelgewinn, Foto: DTM
Pascal Wehrlein auf bestem Wege zum Titelgewinn, Foto: DTM

Am Nürburgring kam erst am Sonntag kam heraus, dass am Vortag anscheinend eine Abmachung unter den Herstellern getroffen wurde, auf Teamorder zu verzichten. Sorgt das für zusätzliche Würze in dieser Angelegenheit?
Manuel Reuter: Ich war bei diesem Treffen nicht dabei. In der Öffentlichkeit wusste zunächst niemand, dass es interne Absprachen gab. Das kam ja erst am Sonntag nach dem Rennen raus. Es ist müßig darüber zu diskutieren, ob sich vielleicht jemand nicht an Absprachen gehalten hat. Das hätte man rückblickend wohl klarer kommunizieren sollen. Dann wäre jeder anders sensibilisiert gewesen, als wenn nur hinter verschlossenen Türen gesprochen wird.

Viele Fans waren alles andere als begeistert davon, wie Mercedes seinem Meisterschaftsfavoriten Pascal Wehrlein einen Vorteil verschafft hat. Wie siehst du das?
Manuel Reuter: Es ist verständlich, dass das einige Fans nicht toll fanden. Ich denke, das wissen auch die Verantwortlichen selbst. Die Fans wollen so etwas nicht sehen. Sie möchten sehen, dass die Fahrer auch untereinander hart fahren und sich nichts schenken, unabhängig von der Marke. Aber die Welt ist nicht schwarz-weiß. Letztendlich muss man auch versuchen, sich in die Lage eines Herstellers oder Sportchefs hineinzuversetzen. Die Hersteller investieren wahnsinnig viel Geld in die DTM und am Ende geht es darum, die Meisterschaft nach Hause zu holen. Ich glaube, in dieser Situation würde jeder sagen: Schaut, dass ihr möglichst viele Punkte einfahrt.

Einige Fans meinten, dass es eine solche Teamorder nur in der DTM gäbe. In anderen Serien liefe es anders...
Manuel Reuter: Das finde ich etwas polemisch, um ehrlich zu sein. Das gibt es auch in der Formel 1, dass der Nummer-1-Pilot vorgelassen wird. Sogar in den Nachwuchsserien kommt es vor, dass es dem in der Meisterschaft bestplatzierten Fahrer leichter gemacht wird. Die DTM polarisiert natürlich aufgrund der Tatsache, dass ein Hersteller acht Autos einsetzt. Das ist da ein größeres Thema und es wird auch gleich medial draufgehauen.

Du findest die Reaktion also etwas überzogen?
Manuel Reuter: Grundsätzlich zu Teamorder: So etwas gab es schon vor 30 Jahren in der entscheidenden Phase der Meisterschaft. Das gehört eben zum Sport dazu. Natürlich ist die Situation vom Nürburgring guter Stoff für die Kritiker der DTM. Andererseits: In Oschersleben hat BMW genau das Gegenteil gemacht. Da hatte jeder mit einer Stallorder für Bruno Spengler gerechnet, aber am Ende hat Timo Glock gewonnen. Daran sieht man, dass das Ganze nicht so eine extreme Rolle spielt, wie es jetzt aufgebauscht worden ist.

Du kennst solche Geschichten aus deiner aktiven DTM-Zeit sowieso nur zu gut...
Manuel Reuter: Viele Fans erinnern sich sicherlich noch an das Saisonfinale 1987. Da bin ich am Salzburgring im entscheidenden Rennen mit Ford um die Meisterschaft gefahren, bis mir ist der Reifen geplatzt ist. Am Ende wurde ich Zwölfter und habe die Meisterschaft verloren. Damals ist Marc Hessel in seinem BMW einfach vor der Ziellinie stehen geblieben, bis sein BMW-Kollege Erik van de Poele an ihm vorbei ins Ziel fuhr und dadurch den Titel holte. Stell dir mal vor, sowas würde heutzutage passieren. Das wäre eine Katastrophe! Damals konnte man auch sagen, dass das nicht fair war. Damit möchte ich verdeutlichen, dass es so etwas schon immer in diesem Sport gegeben hat. Es gibt sicherlich einige Dinge in der heutigen DTM, die nicht optimal sind in ihrer Außenwirkung. Über Themen wie Reifen oder die Performancegewichte müssen wir im Winter sprechen.

Was glaubst du, ging in Maximilian Götz vor, als er für Wehrlein Platz machen musste?
Manuel Reuter: Natürlich ist das nicht toll für die Fahrer. Aber es ändert nichts an ihrer Performance. Maximilian ist als Rookie sein bislang bestes Rennwochenende in der DTM gefahren. Ob ein Fahrer am Ende Fünfter, Sechster oder Siebter wird, spielt da keine große Rolle. Für den Fahrer selbst wird es erst hart, wenn er Podestplätze oder sogar den Sieg herschenken muss. Aber wie sagt man so schön: That's part of the business.

Die positiven Aspekte des DTM-Wochenendes auf dem Nürburgring gingen am Ende leider etwas unter, oder?
Manuel Reuter: Das wäre schade, denn wir haben am Wochenende wirklich tollen Motorsport gesehen. Das Sprintrennen am Samstag war megaspannend. Es wurde hart an der Grenze gefahren, genau wie es sich die Fans wünschen. Auch das Sonntagsrennen war gut, auch wenn in der zweiten Rennhälfte nicht mehr so viel passierte. Aber dieses Manöver mit Juncadella, Wehrlein und Rockenfeller war an sich toller Motorsport. Die Situation hätte auch ganz schnell schief gehen können, dann hätte es Kleinholz gegeben. Man muss also auch die positiven Dinge sehen.