Die vermeintlichen Performance-Unterschiede der Hankook-Reifen sorgten im Vorfeld des Rennwochenendes der DTM auf dem Norisring für Gesprächsstoff in der Szene. Das sollte sich im ersten Rennen am Samstag nicht ändern. Wieder rückte das schwarze Gold in den Fokus. Wieder ging es um Performance-Unterschiede. Diesmal allerdings viel grundsätzlicher. Thema war schlichtweg die Frage, welcher Reifen denn nun der bessere sei - Regenreifen oder Slick?

Hintergrund: Kurz vor dem Start hatte ein kräftiger Regenschauer den Norisring heimgesucht. Es galt binnen Sekunden die richtige Entscheidung zu treffen. "Mit dem Regen am Anfang war es ziemlich stressig. Mein Mechaniker war total aufgeregt. 'Steig' ins Auto, steig' ins Auto!' Aber mein Ingenieur meinte 'Wir müssen noch entscheiden, welcher Reifen!'", schildert Jamie Green Motorsport-Magazin.com das Chaos aus seiner Sicht.

Alle Entscheidungen richtig?!

Mit etwas Abstand erscheint es nun jedoch höchst ämusant, wie unnötig die ganze Aufregung am Ende doch war. Nach dem Rennen sprach jedenfalls das gesammelte Fahrerlager - Teamchefs inklusive - nur davon, selbst die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Allen voran der Sieger. "Es war die Entscheidung meines Ingenieurs, auf Slicks zu starten. Am Ende haben beide Strategien funktioniert, auch wenn meine Reifen etwas mehr abgebaut haben, weil ich sie von Anfang an drauf hatte", sagt Pascal Wehrlein.

Genauso sieht es Green, ebenfalls Slick-Starter. "Das war ein bisschen riskant, aber es hat funktioniert. Eigentlich war es die richtige Wahl, aber es hat mich in den ersten Runden ein bisschen anfällig gemacht. Dann waren wir aber alle sehr nah zusammen, als die Jungs von ihrem Stopp zurückgekommen sind", berichtet Green.

Eine längere Safety-Car-Phase hätte den Regenreifen-Startern Probleme bereitet, Foto: DTM
Eine längere Safety-Car-Phase hätte den Regenreifen-Startern Probleme bereitet, Foto: DTM

Rettete das Safety Car die Slick-Fahrer?

Besondere Würze in den Reifen-Poker brachte derweil eine Safety-Car-Phase unmittelbar nach der ersten Runde. Augusto Farfus zumindest habe das SC das Rennen gerettet. "Ehrlich gesagt war ich nicht einverstanden mit meinen Slick-Reifen. Ich denke, ohne das Safety-Car wären wir in Probleme geraten. Denn die Jungs, die auf Regenreifen gestartet sind, haben zwei, drei Runden verloren, in denen sie ihre Reifen hätten nutzen können. Das hat den Jungs auf den Slicks geholfen. Aber das ist immer eine Lotterie. Am Ende hat mein Team die richtige Entscheidung getroffen", sagt der BMW-Fahrer auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com.

Nachgehakt in der Regenreifen-Fraktion, fällt diese Einschätzung ähnlich aus. "Ohne Safety Car hätte der Wehrlein nicht gewonnen und der Bruno (Spengler) wäre nicht vor mir gewesen", sagt Martin Tomczyk. "Aber das gehört auch dazu. Ich glaube, es war die richtige Entscheidung mit dem Regenreifen zu starten und dann auf Slicks zu wechseln, weil du sonst einfach zu viel Zeit verlierst. Ich bin ja als Siebter angekommen und habe noch den Jamie (Green) geschlagen", erklärt Tomczyk. Die abschließende Entscheidung habe er seinem Team überlassen: "Acht Minuten vor dem Start habe ich noch mitgewurschtelt, aber dann habe ich gesagt, 'Ich setz' mich jetzt ins Auto, ihr macht das!' Und dann habe ich einfach gewartet."

Foto: Audi
Foto: Audi

Beide Strategien gleich gut

Bruno Spengler sieht das Ganze komplett anders. Der Kanadier hält die Entscheidung seines Teams für Slicks für goldrichtig. "Dafür 'Hut ab!', das war super. Die ersten Runden waren ein bisschen schwierig, aber es lief ganz gut auf Slicks und ich konnte Druck nach vorne machen", sagt Spengler. Angesprochen auf das Safety Car gesteht der BMW-Mann jedoch: "Ich war erstmal froh, dass das Safety-Car überhaupt da war. Natürlich hätte uns eine längere Phase geholfen."

"Wir sind aggressiver an die Sache herangegangen, wir hatten ziemlich viele Autos vorne auf Slickreifen stehen von Anfang an, den Martin auf Regenreifen. An Bruno und Martin sieht man: beide Strategien sind aufgegangen", bestätigt auch BMW-Motorsportchef Jens Marquard im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com, dass beide Varianten ihre Berechtigung hatten.

Etwas anders sieht es Robert Wickens. Doch auch der Mercedes-Mann ist völlig überzeugt von der Strategie seines Rennstalls. "Ich bin mit den Regenreifen losgefahren. Slicks wären ein Risiko gewesen. Pascal ist auch der Einzige, der mit Slicks heute gut gemacht hat. In der Chefetage der Silberpfeile hatte man derweil bereits geahnt, das beide Varianten zum Erfolg führen können. "Wir haben die Strategie gesplittet und drei Autos auf Slicks gesetzt. Wenn man natürlich in der ersten Startreihe steht, dann fällt einem das schwerer. Deshalb sind die beiden ersten auf Regenreifen losgefahren. Im Nachhinein betrachtet war es sogar fast gleich. Wenn man den richtigen Zeitpunkt für den Stopp gefunden hat, und das ist uns heute gelungen, dann war die Strategie ebenbürtig", fasst Ulrich Fritz zusammen.

Auch eine längere Safety-Car-Phase wäre völlig egal gewesen: "Das wäre für die Fahrer auf Regenreifen schwierig geworden. Auf der anderen Seite hätte es wiederum den drei unserer Fahrer mit Slicks in die Karten gespielt. Natürlich macht man sich Gedanken darüber, aber es kommt dann eh wie es kommt."

Foto: Audi
Foto: Audi

Kommunikationsproblem bei Audi

Dieter Gass, Fritz' Pendant bei Audi bestätigt den Eindruck gegenüber Motorsport-Magazin.com: "Ich glaube, dass sich der Jamie am Anfang leichter getan hätte, wenn er auf Regenreifen gestartet wäre. Aber ob das Ergebnis besser gewesen wäre? Ich weiß nicht. Martin Tomzyck war am Anfang auch vorne mit dabei. Der ist auch auf dem Regenreifen gestartet. Aber am Ende ist er hinter Jamie gelandet. Das war eine sehr, sehr knappe Entscheidung."

Hinzugekommen sei im Fall Audis noch etwas anderes. "Das Problem war, dass wir im Grid sehr weit auseinander standen. Da war es ein bisschen schwierig mit der Kommunikation zwischen den Autos. Die Leute, die hinten standen, haben sich natürlich relativ leicht getan das Risiko zu nehmen und auf Slicks zu fahren. Da gab es nichts zu verlieren. Da konnte man es probieren. Das war absolut richtig. Nur der Rocky hat gesagt, ich mache dann mal das andere. Auch das war richtig. Und vorne mit Miguel und Jamie war es eine Last-Minute-Entscheidung. Wir haben uns erst Richtung Regenreifen orientiert, aber dann hat es ein bisschen aufgerissen und wir haben die Slicks genommen. Der Start auf dem Regenreifen wäre aber auch nicht der Heilsbringer gewesen, wie das Rennen gezeigt hat", sagt Gass.