Der Artikel wurde in der 78. Ausgabe des Printmagazins von Motorsport-Magazin.com am 12. Mai 2021 veröffentlicht.

18 Weltmeistertitel haben deutsche Piloten in der Geschichte der Motorrad-WM erobert. Nur Italien (79 Titel), Spanien (54) und Großbritannien (43) waren erfolgreicher. Vom Glanz früherer Tage ist in der Bundesrepublik aber nur noch wenig übrig. Seit 2020 ist Marcel Schrötter der einzige deutsche Stammfahrer in allen drei WM-Klassen. Seine Bilanz in diesem Zeitraum: Eine Podiumsplatzierung mit Rang drei beim Österreich-GP des Vorjahres. Viel zu wenig für eine Nation mit derart großen Möglichkeiten. Das Problem ist freilich hausgemacht.

Seit vielen Jahren gibt es in Deutschland kein funktionierendes Fördersystem für junge Motorradrennfahrer. Die verantwortlichen Verbände ADAC und DMSB haben die Entwicklungen völlig verschlafen und legen ihren Fokus seit jeher lieber auf den Vierradsport. Serien wie der ADAC Junior Cup waren nie dazu geeignet, Talenten den Sprung in die Motorrad-Weltmeisterschaft zu ermöglichen. Unterdessen produziert man in Spanien oder Italien am laufenden Band vielversprechende Youngsters. Stark besetzte Serien von Minibikes bis hin zu Moto3-Klassen sorgen für knallharten Konkurrenzkampf. In privaten oder von Verbänden geführten Akademien werden die Jungen und auch Mädchen schon früh auf die brutale Rennsportwelt vorbereitet - mit überragendem Erfolg. Will man regelmäßig junge Fahrer in die Motorrad-WM bringen, ist dieser Weg der einzig gangbare. Darüber herrscht im Paddock absolute Einigkeit.

Der vom ADAC zusammen mit MotoGP-Promoter Dorna organisierte Northern Talent Cup will sich an dieses System anlehnen, doch das Starterfeld bleibt mit 25 Fahrern auch 2021 dünn. Große Teamnamen fehlen mit Ausnahme der Mannschaft von Prüstel-GP völlig. Zum Vergleich: In Spanien gehen 36 Youngsters an den Start, in Rennställen mit klingenden Namen wie Aspar, Leopard Racing, SIC58 Squadra Corse, Estrella Galicia 0.0 oder Avintia. "Aus dem Northern Talent Cup könnte es vielleicht mal ein Fahrer schaffen, aber insgesamt fehlt es in Deutschland völlig an einer Lobby für unseren Sport. ADAC und DMSB sind Schlaftabletten sondergleichen, speziell was den Zweiradbereich betrifft", schimpfte Stefan Bradl, Moto2-Weltmeister 2011 und zusammen mit Alex Hofmann sowie Jonas Folger einer von nur drei deutschen Piloten in der Geschichte der MotoGP-Klasse, jüngst im ran-Podcast.

"Wir können von Glück reden, dass wir 2011 und 2012 zwei deutsche Weltmeister mit Sandro Cortese und mir hatten. Das ist aber rein durch unsere Eigeninitiative passiert. Es fehlt eine Plattform und eine Ausbildung vom untersten Level an. Die Jungs müssen herangeführt und dann ständig begleitet werden. Sie brauchen Möglichkeiten, um sich zu entwickeln. Man darf nicht nach einem halben Jahr schon sagen: 'Der hat's nicht drauf, jetzt probieren wir den nächsten. Oder wir lassen es gleich komplett bleiben.'" Bradl fällt nicht zum ersten Mal mit harter Kritik an den herrschenden Strukturen auf. "Wir stehen im Vergleich zu anderen erbärmlich da. Ich sehe in Deutschland aktuell gar keine Förderung. Da muss einfach mal etwas passieren. Es muss gefördert werden. Wie sieht es denn sonst in fünf Jahren mit dem deutschen Nachwuchs aus?", fragte er bereits 2015.

Stefan Bradl holte Deutschlands erstes MotoGP-Podium, Foto: Milagro
Stefan Bradl holte Deutschlands erstes MotoGP-Podium, Foto: Milagro

Bradls düstere Vorahnung - damals konnte Deutschland mit ihm selbst, Sandro Cortese, Jonas Folger, Marcel Schrötter, Florian Alt und Philipp Öttl noch sechs Stammfahrer in der WM vorweisen - sollte sich bestätigen. Den großen Umbruch in der Nachwuchsarbeit hierzulande suchte man in der Zwischenzeit vergeblich, obwohl Bradl bereits damals dem ADAC seine Unterstützung anbot. "Wenn man mich fragen würde, wäre ich der Letzte, der sagt, dass mich das nicht interessiert. Ich bin ja immerhin schon ein paar Jahre in der MotoGP, also an der Weltspitze, aber mein Rat ist ihnen anscheinend nicht wichtig", sagte er damals im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. Nun reicht es Bradl und er nimmt sich der Sache selbst an, denn "über die Verbände kannst du ein Ei drüber schlagen - das hat keinen Sinn". Bradl will an der Schnittstelle zwischen nationalen Serien und dem internationalen Geschäft ansetzen. Dafür hat er Adi Stadler mit ins Boot geholt. Der war von 1985 bis 1995 selbst in der Motorrad-Weltmeisterschaft aktiv und engagiert sich seither im Nachwuchsbereich. Vor vielen Jahren kümmerte er sich auch um Bradl.

Zusammen will man einzelne Fahrer im Minibike-Bereich unterstützen, diese gezielt ausbilden und ihnen somit einen konkurrenzfähigen Einstieg in den Red Bull Rookies Cup ermöglichen. Diese Serie hat sich in den letzten Jahren als exzellentes Sprungbrett in die WM erwiesen und Fahrer wie Joan Mir, Miguel Oliveira, Brad Binder, Johann Zarco oder Jorge Martin hervorgebracht. Auch einige deutsche Piloten schafften es durch den Selektionsprozess in den Rookies Cup, der Sprung von dort in die Weltmeisterschaft gelang aber zuletzt Florian Alt und Philipp Öttl, die für die Ränge eins und vier in der Saison 2012 belohnt wurden.

"Die deutschen Fahrer haben im Rookies Cup in den letzten Jahren keine besonders tollen Leistungen gezeigt", stellt Bradl fest. "Wir wollen die Kids auf ein Level bringen, mit dem sie im Rookies Cup sofort abliefern können." Um das zu erreichen, will Bradl nicht nur seine Erfahrung und Expertise, sondern auch infrastrukturelle Unterstützung anbieten. Der HRC-MotoGP-Testpilot konnte mit Honda Deutschland bereits einen prominenten Partner gewinnen, der Moto3-Production-Bikes liefern wird. So können die Nachwuchsfahrer auf ideale Trainingsmaschinen zurückgreifen. Auch Bradls langjähriger persönlicher Sponsor Red Bull könnte sich am Projekt beteiligen. "Von den Leuten, mit denen ich bislang gesprochen habe, gab es durchwegs positive Signale", freut sich der mittlerweile 31-Jährige.

Stefan Bradl bestreitet als Honda-Testfahrer vereinzelt Rennen in der MotoGP, Foto: LAT Images
Stefan Bradl bestreitet als Honda-Testfahrer vereinzelt Rennen in der MotoGP, Foto: LAT Images

Bradl geht mit seinem Projekt einen zwar in deutschen Gefilden neuen, international aber bereits etablierten Weg. In den letzten Jahren gingen viele aktuelle Spitzenpiloten aus den Förderprogrammen von aktiven oder ehemaligen Grand-Prix-Fahrern wie Valentino Rossi (Franco Morbidelli, Francesco Bagnaia und Luca Marini sind Teil der VR46-Academy), Emilio Alzamora (die Marquez-Brüder Marc und Alex zählen zu seinen Schützlingen) oder Alberto Puig (er gilt als Entdecker von Dani Pedrosa) hervor. Zu Puig unterhält übrigens auch Bradls Mitstreiter Stadler ausgezeichnete Kontakte. Trägt das Projekt wie im Fall seiner Kollegen Früchte, könnte Bradl zu seinem sportlichen Vermächtnis ein weiteres beeindruckendes Element hinzufügen.

Trotz seines Moto2-Weltmeistertitels 2011, mit dem er eine 18-jährige Durststrecke in schwarz-rot-gold beendete, und der ersten deutschen MotoGP-Pole-Position sowie Podiumsplatzierung 2013 in Laguna Seca, wurde Bradl in seiner Heimat nie die Anerkennung zuteil, die er dafür eigentlich verdient hätte. Vielleicht ändert sich das, wenn in einigen Jahren dank ihm wieder deutsche Rennfahrer in der Motorrad-Weltmeisterschaft um Spitzenpositionen kämpfen.

Ehrentafel - Deutsche Motorradweltmeister

Werner Haas: 250ccm 1953 & 1954, 125ccm 1953

Hermann Paul Müller: 250ccm 1955

Ernst Degner: 50ccm 1962

Hans Georg Anscheidt: 50ccm 1966, 1967 & 1968

Dieter Braun: 125ccm 1970, 250ccm 1973

Toni Mang: 250ccm 1980, 1981 & 1987, 350ccm 1981 & 1982

Dirk Raudies: 125ccm 1993

Stefan Bradl: Moto2 2011

Sandro Cortese: Moto3 2012

Auch Österreich gibt Gas

In Österreich tut sich ebenfalls etwas in der Nachwuchsförderung. KTM, Ex-Rennfahrer Andy Meklau, das 'Projekt Spielberg' und der österreichische Motorsportverband haben den Austrian Junior Cup ins Leben gerufen. 20 Teilnehmer zwischen 13 und 20 Jahren gehen bei sechs Events an den Start. Die vielversprechendsten Fahrer erhalten die Chance, bei der Sichtung zum Red Bull Rookies Cup teilzunehmen.

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