Nur noch wenige Stunden, dann starten die längsten 24 Stunden des Jahres in Le Mans. Zweimal rund um die Uhr bedeutet Dramen, Schweiß, Tränen und am Ende für einige wenige das befriedigende Gefühl des Triumphs. Worauf kommt es 2016 an? Welche Faktoren spielen eine wichtige Rolle? Und worauf dürfen sich die Fans freuen? Motorsport-Magazin.com mit den Brennpunkten zu den 24 Stunden von Le Mans 2016:

Unsicherheitsfaktor Hybrid

"Ich bin überzeugt, dass zumindest eines unserer Autos ohne Probleme durchkommen und damit fix auf dem Podest der Gesamtwertung stehen wird." Mit diesen Worten ließ Dominik Kraihamer vom privaten LMP1-Team Rebellion Racing am Dienstag im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com aufhorchen. Zwei Faktoren machen den jungen Österreicher, der in beiden WEC-Saisonläufen auf dem Podium stand, so zuversichtlich: Die Anzahl der Werksautos (nur noch zwei je Hersteller) und die in Frage stehende Zuverlässigkeit ebendieser Hybrid-Boliden.

Bei Porsche, Audi und Toyota gibt man sich im Vorfeld vor den Mikrofonen und Kameras gelassen. So meinte etwa Porsches LMP1-Chef Fritz Enzinger: "Wir hatten vier reibungslose 30-Stunden-Tests, das reicht. Beim letzten sind wir 8.200 Kilometer am Stück ohne Probleme gefahren - das sind eineinhalb Le-Mans-Distanzen." Toyota-Fahrer Sebastien Buemi ist von seinem Dienstwagen ebenfalls überzeugt: "Das Auto ist nun einfacher zu fahren und zuverlässiger. Wir haben uns seit Februar stark verbessert und können unser Potenzial schon viel besser nutzen." Audi-Pilot Andre Lotterer sieht auch keine Zuverlässigkeitsprobleme: "Wenn es bei uns einmal läuft, dann läuft es. Wir hatten zwar ein paar Ausfälle und Probleme in der WEC, aber das waren keine klassischen Standfestigkeitsprobleme."

Hinter vorgehaltener Hand und abseits der TV-Kameras und Journalisten-Mikrofone äußerte in den vergangenen Tagen dann aber doch der eine oder andere Fahrer teils massive Bedenken, ob die komplexen LMP1-Hybriden die vollen 24 Stunden durchhalten. Der zweifache Le-Mans-Sieger Alexander Wurz sprach die Bedenken sogar offen aus: "Ich gehe davon aus, dass keiner der LMP1-Hersteller ohne Probleme durchkommen wird", erklärte er gegenüber Motorsport-Magazin.com. Wird Le Mans 2016 tatsächlich ein Festessen für die Underdogs rund um Kraihamer, Nick Heidfeld oder Nelson Piquet jr.?

Porsche, Audi & Toyota knapp beisammen

Im Hinblick auf den reinen Speed dürften zum ersten Mal seit Ewigkeiten drei Hersteller ganz eng beisammen liegen, da waren sich alle Experten in dieser Woche einig. "Ich bin davon überzeugt, dass alle drei Marken auf einem sehr hohen Niveau sind und dass es, wenn alles normal läuft, sehr eng zugehen wird", sagte Audi-Motorsportchef Dr. Wolfgang Ullrich. Im Porsche-Lager sieht man die Sache gleich. "Wir müssen dieses Wochenende sicher beide Autos so lange wie möglich am Limit bewegen. Jeder Boxenstopp oder jedes Überholmanöver gegen Überrundete kann entscheidend sein", so Fritz Enzinger.

Mehr Autos auf der Strecke

Insgesamt 60 Autos werden das Rennen am Sonntag in Angriff nehmen und damit gleich vier mehr als noch im Vorjahr. Neun Boliden gehen in der Königsklasse LMP1 an den Start (davon drei privat eingesetzte Nicht-Hybriden), 23 in der LMP2-Kategorie und 28 in den beiden GT-Klassen. Das bedeutet vor allem für die LMP1-Werksfahrer jede Menge Stress beim Überrunden der langsamen Gegner. Toyotas Sebastien Buemi freut sich über den Umstand, dass es 2016 so viele LMP2-Autos im Rennen gibt: "Die bedeuten für uns weit weniger Schwierigkeiten, weil sie nicht um so viel langsamer sind als wir. Es gab auch schon Zeiten, wo 40 GT-Autos unterwegs waren. Dann wird es richtig hart."

Porsche-Werksfahrer Marc Lieb hingegen hätte gerne mehr GT-Autos und weniger LMP2: "Für uns sind die LMP2 deutlich schwerer zu überholen. Leider gibt es auch dort viele Gentlemen-Fahrer, die teilweise überfordert sind." Vor allem ein Umstand macht das Überholen 2016 etwas kniffliger: Die neuen technischen Einschränkungen führten dazu, dass der Topspeed der LMP1 sank, während die Rundenzeiten aber fast gleich blieben. Ergo: Nun muss mehr Überholarbeit in den Kurven geleistet werden. Und das ist schwieriger als auf der Geraden mit hohen Geschwindigkeitsüberschuss einfach einen Gegner zu passieren.

Das Wetter

Die gesamte Woche in Le Mans stand im Zeichen des wechselhaften Wetters. Alle paar Stunden öffnete der Himmel seine Schleusen und sorgte am Donnerstag im Qualifying sogar für eine Rote Flagge aufgrund der Unbefahrbarkeit der Strecke. Außer "Drift King" Yannick Dalmas, der mit dem Safety Car einen lupenreinen Powerslide hinlegte, hatte damit niemand eine Freude.

Hans-Joachim Stuck zeigte sich im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com überzeugt, dass das Wetter eine entscheidende Rolle spielen wird und eventuell sogar das Kräfteverhältnis durcheinander wirbeln könnte: "Am Donnerstag konnte man auch beobachten, wie Toyota plötzlich im Regen irrsinnig schnell war. Wenn das Wetter so wechselhaft bleibt, haben wir Hochspannung pur."

Spannung in der GT-Klasse

Duellieren sich in der LMP1 drei Hersteller um den Gesamtsieg, so sind es in der GTE-Pro (die Profi-Klasse der GT-Autos) gleich fünf: Neben Ferrari und Porsche sind das Corvette, Aston Martin und vor allem Ford. Die amerikanische Marke hat zum 50. Jubiläum ihres ersten Le-Mans-Gesamtsieges eine Armada von vier Autos nach Frankreich gekarrt und mit Top-Personal von IndyCar-Champions über Tourenwagen-Weltmeister bis hin zu ehemaligen Formel-1-Fahrern besetzt. "Das Ziel ist klar: Wir wollen gewinnen", stelle Dirk Müller - der mit Joey Hand und Sebastien Bourdais auf GT-Pole steht - schon am Mittwoch klar. Ford ist somit Favorit auf den Sieg, auch wenn eine erst am Freitag erfolgte Anpassung der Balance of Performance dem US-Team sowie Ferrari die Arbeit ein wenig erschweren dürfte. Doch werden die Autos aus dem Hause Ford gleich bei ihrem Debüt problemlos 24 Stunden durchhalten? Das ist die große Frage, die sich am Samstag und Sonntag stellt.