Wie fast immer in den letzten 15 Jahren tritt Audi in der Rolle des Gejagten an, lediglich die Startnummern reflektieren erstmals seit 2010 (damals genoss Peugeot das Privileg) nicht den Erfolg an der Sarthe, da Toyota den WM-Titel in der vergangenen Saison eingefahren hatte. Dennoch tritt Audi als Titelverteidiger auf dem Circuit de la Sarthe an - eine Rolle, die für den Ingolstädter Hersteller und das Joest-Team über die Jahre hinweg zur Gewohnheit geworden ist. Mit dem Diesel-Antrieb wird Audi auch diese Saison wieder antreten - gegen mehr Benziner-Konkurrenz als je zuvor.

"Den Verantwortlichen von ACO, FIA und WEC ist es gelungen, ein Reglement zu schaffen, das einen spannenden Wettbewerb verschiedener Effizienz-Konzepte ermöglicht", sagt Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich. Im Hybridzeitalter ist Audi bislang ungeschlagen und konnte 2014 einen eher überraschenden Triumph feiern, während der Rest der Saison weniger befriedigend verlief. Dieses Jahr aber kehrt das Audi Sport Team Joest wieder in der Favoritenrolle nach Le Mans zurück.

Beeindruckende Bilanz: Audi ist der uneingeschränkte Le-Mans-König des 21. Jahrhunderts, Foto: Audi
Beeindruckende Bilanz: Audi ist der uneingeschränkte Le-Mans-König des 21. Jahrhunderts, Foto: Audi

Beide Auftaktrennen entschieden Marcel Fässler, Andre Lotterer und Benoit Treluyer in einem knappen Kampf mit Porsche für sich. Das Wichtigste: Audi staubte mitnichten ab, sondern diktierte das Geschehen maßgeblich mit. Im Qualifying sind die R18 e-tron quattro zwar den Porsche 919 Hybrid in der Regel unterlegen, im Rennen aber sowohl mit viel als auch wenig Abtrieb das Maß der Dinge. Audi wird das Heft dieses Jahr wieder in die Hand nehmen können, während man 2014 eher in einer Abwarte-Rolle geschlüpft war und vom Ausfall des führenden Toyota profitiert hatte.

Mit reichlich Erfahrung zum 14. Le-Mans-Sieg

Die Fahrer: Die Zeit ist schnelllebig: Waren Marcel Fässler, Andre Lotterer und Benoit Treluyer vor wenigen Jahren noch die Youngster, die Audis "goldene Generation" herausgefordert hatten, sind sie nun die alten Hasen im Team, seit Le-Mans-Legende Tom Kristensen zurückgetreten ist. Sie kommen zusammen auf 25 Le-Mans-Teilnahmen und erzielten drei Siege - alle gemeinsam. Vor allem Andre Lotterer stach vergangenes Jahr mit einem überragenden Fünffachstint am Sonntagvormittag heraus.

Jahr 1 ohne Tom Kristensen sieht Lucas di Grassi und Loic Duval nun Oliver Jarvis zur Seite gestellt bekommen, der sich nach einem Jahr Super GT im LMP1 versucht und bereits zum fünften Mal in Le Mans antritt. Für di Grassi ist es zwar erst die dritte Le-Mans-Teilnahme, doch er konnte bislang mit Speed die Audi-Verantwortlichen begeistern. Loic Duval musste vergangenes Jahr aussetzen, nachdem er im Training einen schweren Unfall hatte. Doch selbst das Unfalljahr rausgerechnet ist es für ihn schon die sechste Le-Mans-Teilnahme, alle in der LMP1-Klasse.

Das dritte Fahrzeug ist schließlich mit den Zeitarbeitern besetzt: Filipe Albuqueque, Marco Bonanomi und Rene Rast hatten allesamt nur das Rennen in Spa Zeit, sich im offiziellen Wettbewerb aufeinander einzurichten. Albuquerque und Bonanomi fuhren bereits vergangenes Jahr erstmals gemeinsam, der Italiener war darüber hinaus auch schon im Jahre 2012 für Audi dabei. Rene Rast hingegen kann noch keine LMP1-Erfahrung vorweisen, zeigte aber 2014 in der LMP2 eine gute Leistung. Er ist der einzige Rookie in der Langstrecken-Königsklasse im Audi-Kader. Insgesamt kommen die neun Piloten der vier Ringe auf 40 Le-Mans-Teilnahmen und 4,4 pro Fahrer.

Das Auto: Audi leitete die jüngste Generation des R18 e-tron quattro vom Vorgängermodell von 2013 ab und bohrte den Dieselmotor auf vier Liter Hubraum auf. Nach der wenig zufriedenstellenden Saison 2014 zog man in Neckarsulm alle Register und reizte 2015 das Reglement deutlich konsequenter aus. Die bisherige Achillesferse wurde im Winter angegangen: Das Hybridsystem. Bei der Hybridklasse erfolgte ein Aufstieg in die Kategorie bis vier Megajoule. Neben der Erhöhung der Speicherkapazität wurde auch die Powerabgabe verbessert; das System leistet nun 272 PS.

Alle Register gezogen: Audis Low-Downforce-Kit ist das radikalste aller drei Hersteller, Foto: Audi
Alle Register gezogen: Audis Low-Downforce-Kit ist das radikalste aller drei Hersteller, Foto: Audi

Trotzdem bleibt auch der neueste R18 e-tron quattro noch hinter der Konkurrenz von Toyota und Audi zurück, was die Hybridpower angeht. Der Hauptgrund dafür liegt im konzeptbedingt höheren Gewicht des Dieselmotors: Ein zweites Hybridsystem würde das Gewicht über 870kg hinaus drücken. Auch der Verbrennungsmotor wurde weiter überarbeitet, doch im zehnten Jahr in Le Mans fallen die Fortschritte bei der Dieseltechnologie mittlerweile kleiner aus als noch zu Zeiten des Selbstzünder-Zweikampfs mit Peugeot.

Radikaler als jeder andere Hersteller nutzt Audi das Reglement bei der Aerodynamik aus. Die gesamte Karosserie wurde komplett für Le Mans modifiziert und unterscheidet sich deutlich vom High-Downforce-Kit. Die Performance des Le-Mans-Kits war in Spa so überzeugend, dass Audi erwägt, es auch bei weiteren Rennen nach Le Mans einzusetzen. "Alle Leitbleche, Flügel und ähnliche Elemente stehen nicht mehr so steil im Luftstrom, die Krümmung der Flügelprofile fällt geringer aus", erklärte Aerodynamikleiter Jon Monchaux.

Für Wirbel sorgte beim Le-Mans-Test ein Kniff beim Heckflügel: Sowohl Audi als auch Porsche winkelten die Endplatten ihrer Heckflügel seitlich ab, obwohl dies laut Reglement klar verboten ist. Beide Hersteller verweisen aber darauf, dass das Teil fest mit der Karosserie verbunden ist und damit keinen Teil des Heckflügels, sondern der Karosserie darstellt. Sowohl der Audi R18 e-tron quattro als auch der Porsche 919 Hybrid kamen problemlos durch die Abnahme.

Technische Daten Audi R18 e-tron quattro

Das Hybridsystem wurde über den Winter stark verbessert, Foto: Audi
Das Hybridsystem wurde über den Winter stark verbessert, Foto: Audi

Einsatzteam: Audi Sport Team Joest
Länge: 4650mm
Breite: 1900mm
Höhe: 1050mm
Motor: 4.0l V6 Turbodiesel, 1 Turbolader
Getriebe: 7-Gang sequenziell
Energierückgewinnung: 1x ERS-K
Energiespeicher: Flywheel
Systemleistung: 830 PS
Hybridklasse: 4MJ

Erfolgsbilanz in Le Mans: Erfolg an der Sarthe schrieb sich im 21. Jahrhundert bislang überwiegend mit vier Buchstaben und hatte vier Ringe. Zählt man den Bentley-Sieg von 2003 dazu, der mit nichts anderem als einem weiterentwickelten Audi R8C errungen wurde, ist Audi nur ein einziges Mal seit 2000 geschlagen worden, als anno 2009 der Sieg an Peugeot ging. Ob mit unterlegenem Material oder mit purem Speed - Audi hat in den letzten 15 Jahren auf alle erdenklichen Weisen in Le Mans gewonnen. Seit 2006, als der erste Diesel-Sieg errungen wurde, ist das Joest-Team ununterbrochen dabei und mit allen Wassern gewaschen. Audi bedroht in der ewigen Bestenliste sogar mittlerweile Porsche und ist das absolute Maß der Dinge. Wer in Le Mans gewinnen will, muss Audi schlagen.

Redaktionskommentar

Motorsport-Magazin.com meint: Was spricht gegen einen erneuten Audi-Sieg an der Sarthe? Wesentlich weniger als im Vorjahr, als Audi trotz aller Erfolge eher Außenseiter war und doch wieder gewann. Nun ist die Joest-Mannschaft wieder in der Favoritenrolle - auf dem Papier kann eigentlich gar nichts mehr schiefgehen. Doch Le Mans hat oft genug bewiesen, dass es seine eigenen Gesetze hat und alle Siege der Vergangenheit nutzlos sind, wenn die Startflagge fällt. Audi hat alles am richtigen Platz - ein Null-Fehler-Job, und der Sieg geht wieder nach Ingolstadt. Doch auch für die erfahrensten Mannschaften sind solche Null-Fehler-Jobs immer noch eine große Herausforderung. (Heiko Stritzke)