Auf diesen Moment haben sie alle hingearbeitet: Die drei Werke Audi, Toyota und Porsche kämpfen um die Krone beim Klassiker an der Sarthe. 2014 markiert nicht nur die Porsche-Rückkehr in die Topklasse nach 16 Jahren Abstinenz, sondern auch die erste Ausgabe der 24 Stunden von Le Mans nach dem revolutionären Effizienz-Reglement, das in der Welt einmalig ist. Mit der Vorgabe, jedwedes Motorenkonzept verwenden zu dürfen, aber nur eine bestimmte Energiemenge pro Runde zu verbrauchen, wird in Le Mans ein Weg eingeschlagen, der bereits mit der Gruppe C zu einem einmaligen Boom geführt hat. 2014 soll nur der Anfang einer Erfolgsgeschichte sein.

Auf der anderen Seite wird mit sündhaft teurer Hybrid-Technologie die Entwicklung für Serienwagen beschleunigt. Wer nach Le Mans kommt, will Innovationskraft beweisen. Die drei in der diesjährigen Ausgabe involvierten Hersteller wählten drei völlig verschiedene Herangehensweisen an das neue Reglement in den Punkten Motor, Hybridklasse und Hybridsystem. Gerade diese Vielfalt, die in den sonst meist enggestrickten, hubraumbasierten Reglements ausbleibt, zeichnet die diesjährige Ausgabe des Klassikers aus.

Audi nicht der Favorit

Zum ersten Mal seit gefühlten Äonen geht der Dominator der letzten Jahre nicht als Favorit ins Rennen. Kaum zu glauben, aber Audi gilt eher als Überraschungskandidat. Die Ingolstädter verspekulierten sich im Vorfeld der Saison mit der Hybridklasse: 2 Megajoule Energierückgewinnung bedeuten nach der finalen Festlegung der Energiemengen etwas weniger Energie als den Konkurrenz in der 6MJ-Klasse zur Verfügung steht. Hinzu kommt, dass in der kleinsten Hybridklasse mehr fossile Energie verbraucht werden darf, es bei der Größe des Tanks aber keine Vorteile gibt - ergo sinkt die Reichweite. Audi werden 13 Runden zugetraut, Porsche und Toyota könnten eine 14. schaffen.

Außenseiter oder doch ganz vorn dabei? Bislang scheint es Audi an Speed zu fehlen, Foto: Audi
Außenseiter oder doch ganz vorn dabei? Bislang scheint es Audi an Speed zu fehlen, Foto: Audi

Mit zwei Megajoule, Turbodieseltechnolgie und Schwungradspeicher geht Audi den unkonventionellsten Weg der drei Hersteller. Für die Ingolstädter spricht die enorme Erfahrung in Le Mans und eine gute Zuverlässigkeit. Von den vier Ringen wird am wenigsten ein technischer Defekt erwartet. Vom Speed her präsentierte sich Audi beim Vortest mit Porsche auf Augenhöhe - wie aussagekräftig diese Zeiten waren, wird sich frühestens im Qualifying zeigen. Von einem sollte man sich nicht täuschen lassen: Der Speed der R18 e-tron quattro in Spa spiegelte in der Anfangsphase nicht das Potenzial des Fahrzeugs wieder. Gegen Ende konnte Audi sogar mit Toyota mithalten. Fazit: Audi ist nicht der Favorit, aber absolut kein Underdog.

Hält der 919 Hybrid durch?

Ohne Zweifel werden die meisten Augen in Le Mans auf Porsche gerichtet sein. Die Legende kehrt nach eineinhalb Dekaden in die Topklasse in Le Mans zurück, dazu noch mit Mark Webber - das Medieninteresse an den Boliden aus Weissach wird riesig sein. Mit sechs Megajoule, einem Batteriespeicher und einem kleinen 2-Liter-Turbobenziner hat Porsche das neue Reglement am radikalsten ausgenutzt - und den Preis dafür gezahlt. Bislang hat noch keiner der 919 Hybrid eine volle Le-Mans-Distanz ohne Probleme geschafft.

Zwar kündigte Porsche bereits im Vorfeld an, dass man das Projekt mit sehr viel Demut in Angriff nehmen würde, doch der Druck ist trotzdem gewaltig: Vom Rekordsieger erwartet die Öffentlichkeit eine entsprechende Performance. Schnell war der 919 Hybrid bei den bisherigen WEC-Rennen gewesen, doch kleinere Defekte warfen die Boliden aus Weissach immer wieder zurück. Dementsprechend leise sind auch die Töne: Man wolle ein Fahrzeug ohne Probleme durchbringen, wenn es mit beiden gelänge, wäre das schon etwas ganz Besonderes. Es wäre in beiden Fällen eine Premiere, aber auch nicht das erste Mal, dass ein Auto im Rennen erstmalig die volle Distanz schafft. Dazu hatte Porsche in Spa die größte Reichweite unter allen LMP1.

Der Porsche 919 Hybrid ist radikal, aber hält er auch durch?, Foto: Porsche
Der Porsche 919 Hybrid ist radikal, aber hält er auch durch?, Foto: Porsche

Toyotas ganz große Chance

Neu ist die Favoritenrolle für Toyota nicht: Bereits 1999 galten die Kölner Boliden als das Nonplusultra, doch damals konnte man wegen viel Pech dieser Rolle nicht gerecht werden. 15 Jahre später wiederholt sich das Szenario: Die Toyota TS040 Hybrid waren nicht nur beim Vortest, sondern auch in den ersten WEC-Rennen das Maß der Dinge. Eigentlich galt das Saugmotor-Konzept vor der Saison als veraltet, doch Toyota hat alle Kritiker eines besseren belehrt. Das beeindruckendste Hybridsystem im ganzen Feld mit Superkondensatoren in der 6MJ-Klasse sorgt für bis zu 1.000 Gesamt-PS am Ausgang von Spitzkehren.

Bislang erwies sich der TS040 Hybrid als schnell und zuverlässig. Doch Le Mans steckt voller Unwägbarkeiten. Anthony Davidson kann davon ein Lied singen, nachdem er 2012 einen furchterregenden Crash beim Überrunden hatte. Im mittlerweile dritten Jahr bringt das Toyota-Team aber nun die nötige Erfahrung mit, um auch mit unvorhersehbaren Ereignissen umzugehen. Eine derartige Chance bekommt ein Hersteller nur selten; Toyota muss die Möglichkeit nun nutzen, um den zweiten japanischen Sieg nach Mazda einzufahren. Raum für Fehler ist aber nicht, denn der Vorsprung ist nicht groß.

LMP1-L: Strohfeuer oder Klasse mit Zukunft?

Rebellion Racing hat den Härtetest vor sich, Foto: Speedpictures
Rebellion Racing hat den Härtetest vor sich, Foto: Speedpictures

Nach dem Lotus-Rückzug ist mit Rebellion Racing nur mehr ein privater LMP1-Hersteller übrig geblieben. Die R-One werden die einzigen Fahrzeuge sein, die nach dem LMP1-L-Reglement an den Start gehen. Die noch unausgereiften Fahrzeuge von Oreca mit Toyota-Motoren werden nun direkt ins kalte Wasser geworfen. Beim Vortest waren sie acht und zehn Sekunden langsamer als die beste LMP1-H-Zeit. 20 Kilogramm weniger Gewicht können scheinbar die fehlende Hybridpower nicht kompensieren. Für Rebellion wird es ähnlich wie für Porsche ein Erfolg sein, die brandneuen Fahrzeuge ohne Probleme über die Distanz zu bekommen.

Überhaupt ist die Zukunft der LMP1-L unklar: Zwar will Lotus in Austin endlich einsteigen, doch für weitere private Teams muss eine Zukunft dieser Subklasse garantiert werden. Le Mans wird ein Gradmesser vor allem bezüglich der Einstufung der Boliden. Kaum jemand wird in diese Klasse einsteigen wollen, wenn schon das zweifellos hochgradig professionelle Rebellion-Team einen derartigen Rückstand auf die Werksautos hätte. Sollten die Hybridautos aber in Probleme schlittern, könnte Rebellion ordentlich Punkte abstauben. Durchfahren würde sich in jedem Fall lohnen, und die Sympathien der Fans werden klar auf Seiten der Schweizer sein.